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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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sagte Henkell.
    «Würde aber komisch aussehen, wenn ich’s nicht täte», sagte ich.
    «Stimmt», sagte Grün. «Ich werde dem Anwalt ein Telegramm schicken, dass ich komme. Sie werden für mich ein Kontokorrentkonto bei der Bank meiner Mutter einrichten. Damit Sie gleich an Ihr Geld kommen, wenn Sie da sind. Und natürlich an das Geld für Ihre Unkosten. Und an das Geld für Vera und ihr Kind.» Er lächelte verlegen. «Vera Messmann. So heißt sie. Die, die ich damals in der Patsche habe sitzenlassen.»
    «Ich wollte, ich könnte auch nach Wien fahren», sagte Engelbertina mit einem Kleinmädchenschmollen.
    Ich lächelte so bedauernd wie möglich, aber tatsächlich hatte ich nichts dagegen, Engelbertina jedenfalls für eine Weile zu entkommen. Allmählich verstand ich, warum ihr zweiter Mann, der Ami, nach Hamburg geflüchtet war. Ich hatte noch andere Frauen gekannt, die mit vielen Männern geschlafen hatten. Meine Frau zum Beispiel, wenn es bei ihr auch vielleicht keine vierhundert gewesen waren. Und am Alex in Berlin waren immer Nutten aus- und eingegangen. Eine oder zwei hatte ich auch sehr gemocht. Nein, es war nicht Engelbertinas promiske Vergangenheit, die mich störte. Es waren die vielen anderen seltsamen Eigenheiten, die mir inzwischen an ihr aufgefallen waren.
    Zum einen stand sie jedes Mal auf, wenn Grün oder Henkell ins Zimmer kam. Ich fand es ein bisschen merkwürdig, dass sie den beiden mit einer fast schon sklavischen Unterwürfigkeit begegnete. Außerdem sah sie ihnen nie ins Gesicht. Sobald einer von ihnen in ihre Richtung schaute, schlug sie die Augen nieder und senkte manchmal sogar den Kopf. Aber vielleicht war das ja gar nicht so ungewöhnlich. Zumal die beiden Ärzte waren und sie Krankenschwester. Ärzte waren manchmal ziemliche Tyrannen und ganz schön einschüchternd, das hatte ich bei Kirstens Tod selbst feststellen müssen.
    Es gab noch andere Eigenheiten, die ich inzwischen an Engelbertina festgestellt hatte und die mich irritierten, sie lagen ein bisschen wie Spinnweben über unserer Beziehung. Zum Beispiel ihr Hang zur Infantilität. Ihr Zimmer war voller Stofftiere, die ihr Henkell und Grün geschenkt hatten. Hauptsächlich Teddybären. Es mussten mindestens drei, vier Dutzend sein. Schulter an Schulter saßen sie da, mit ihren nachdenklichen Knopfaugen und ihren strammgestickten Strichmündern, und sahen aus, als planten sie einen Putsch, um das Zimmer zu übernehmen. Und ich hatte den starken Verdacht, dass ich das erste Opfer der anschließenden bärigen Aufräumaktionen sein würde. Wir lagen einfach nicht auf derselben Wellenlänge, die Teddys und ich. Außer vielleicht in einem Punkt. Das zweite Aufräumopfer würde höchstwahrscheinlich Engelbertinas Philco-Radioplattenspieler sein, das Hochzeitsgeschenk ihres verschwundenen Amigatten. Und wenn nicht der Plattenspieler selbst, dann doch mit Sicherheit die einzige Platte, die sie zu besitzen schien: eine ziemlich melancholische Ballade – «Auf Wiedersehen» aus Sigmund Rosenbergs Musical Blue Paradise , gesungen von Lale Andersen. Engelbertina ließ diese Platte immer und immer wieder laufen, und inzwischen ging ich jedes Mal die glatte Wand hoch.
    Und dann war da Engelbertinas Frömmigkeit. Jeden Abend, auch dann, wenn wir gerade miteinander geschlafen hatten, stieg sie aus dem Bett, kniete sich auf den Fußboden, die Hände so fest gefaltet, wie sie die Augen zukniff, und betete laut, als ob sie an die Gnade eines preußischen Obergerichtsrats appellierte. Und während sie betete, hörte ich zu – jedenfalls an den Abenden, an denen ich zu müde war, um aufzustehen und aus dem Zimmer zu gehen – und bemerkte schockiert, dass Engelbertinas Hoffnungen und Wünsche für sie selbst und die Welt so banal waren, dass sich selbst ein Stoffpanda zu Tode gelangweilt hätte. Nach dem Beten schlug sie dann ihre Bibel auf und fuhr blind mit dem Finger über die Seiten, auf der Suche nach der Antwort Gottes. Meistens erlaubte ihr der zufällig gewählte Vers den abwegigen Schluss, dass ihr tatsächlich eine solche zuteil geworden war.
    Aber das Seltsamste und Irritierendste an Engelbertina war, dass sie sich einbildete, heilende Hände zu besitzen. Trotz der medizinischen Kenntnisse, die sie im Zuge ihrer Schwesternausbildung zweifellos erworben hatte, pflegte sie gelegentlich – ohne jede Verlegenheit – sich ein Geschirrtuch über den Kopf zu breiten, ihrem Patienten die Hände aufzulegen und sich in eine Art Trance zu

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