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Das Janusprojekt

Das Janusprojekt

Titel: Das Janusprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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versetzen, während der sie laut durch die Nase schnaufte und so heftig zitterte, als säße sie auf dem elektrischen Stuhl. Seit sie mir einmal die Hände auf die Brust gelegt und ihre Madame-Blavatsky-Nummer gespielt hatte, konnte ich nicht mehr anders, als sie endgültig für eine komplette Spinnerin zu halten.
    Freude an ihrer Gesellschaft hatte ich inzwischen nur noch dann, wenn sie vor mir kauerte, die Hände ins Bettlaken gekrallt, als hoffte sie, dass das Ganze bald vorbei wäre. Was es meistens auch war. Ich wollte Engelbertina entfliehen. Und zwar so schnell wie möglich.

28
    Ich sah zu dem zinngrauen österreichischen Himmel empor, Schnee fiel auf das Dach des Jeeps der Internationalen Patrouille, wo er in kleinen Wellen liegen blieb wie eine Schicht Schlagsahne. Von den vier Uniformierten im Jeep bekam wohl nur der Russe beim Anblick des Schnees Heimweh. Die anderen drei sahen einfach nur verfroren und erkältet aus. Ich klappte meinen Mantelkragen hoch, zog mir den Hut über die Ohren und ging rasch den Graben entlang, vorbei an der Pestsäule, dem barocken Denkmal für die hunderttausend Wiener, die der Pest von 1679 zum Opfer gefallen waren. Trotz – oder vielleicht auch wegen – des Schnees herrschte im Graben-Café reger Betrieb. Gutgekleidete, wohlgeformte Frauen eilten mit ihren Einkäufen durch die Drehtür. Da ich bis zu meinem Termin beim Anwalt der Grüns noch eine halbe Stunde totzuschlagen hatte, tat ich es ihnen gleich.
    Im hinteren Raum stand eine Bühne für eine Kapelle. An ein paar Tischen saßen Männer, die Domino spielten, sich an leeren Kaffeetassen festhielten und Zeitung lasen. Ich fand einen freien Tisch in der Nähe der Tür, setzte mich, knöpfte meinen Mantel auf, beäugte eine hübsche Brünette und bestellte dann einen Einspänner – schwarzen Kaffee in einem hohen Glas mit etwa zwei Fingerbreit Schlagobers darauf. Und dazu orderte ich einen Cognac, wegen der Kälte. Jedenfalls versuchte ich, mir das einzureden. Aber ich wusste, es hatte mehr mit meiner ersten Begegnung mit dem Anwalt zu tun. Anwälte machen mich genauso nervös wie etwa die Vorstellung, mir Syphilis zu holen. Ich trank den Cognac, aber nur die Hälfte des Kaffees – ich musste ja an meine Gesundheit denken. Dann ging ich wieder hinaus.
    Der Kohlmarkt, der vom Graben abzweigte, war eine typische Wiener Straße, mit einer Kunstgalerie am einen Ende und einer teuren Konditorei am anderen. Kämpfner und Socii residierten in drei Stockwerken der Nummer sechsundfünfzig, zwischen einem Lederwarengeschäft und einem Laden für antike Devotionalien. Ich war schon fast versucht, mir einen Rosenkranz zu kaufen. Als Glücksbringer.
    Hinter dem Empfangstisch im ersten Stock saß eine Rothaarige mit allem Drum und Dran. Ich erklärte ihr, ich wolle zu Dr.   Bekemeier, und sie bat mich, noch einen Moment Platz zu nehmen. Ich ignorierte den Stuhl an der Wand und starrte durchs Fenster hinaus in den Schnee, wie man es tut, wenn man sich fragt, ob man das richtige Schuhwerk trägt. Bei Bretschneider gab es ein paar hübsche Lederstiefel, mit denen ich und mein Spesengeld nähere Bekanntschaft zu schließen gedachten. Vorausgesetzt, mit dem Anwalt ging alles klar. Ich schaute durch den Schnee zum Schaufenster des Stickwarengeschäfts gegenüber, wo Fanny Skolmann – wenn man der Aufschrift auf der Scheibe glauben durfte – und ihre diversen Angestellten bei einem Licht, das sie bestimmt bald blind machen würde, Petit-Point-Stickerei betrieben.
    Jemand räusperte sich hinter mir, und als ich mich umdrehte, stand vor mir ein Mann in einem adretten, grauen Anzug und einem Hemd mit einem Flügelkragen, der aussah wie von Pythagoras geschneidert. Unter weißen Gamaschen glänzten seine schwarzen Schuhe wie der Lack eines nagelneuen Fahrrads. Er war klein, und je kleiner ein Mann ist, desto sorgfältiger scheint er sich zu kleiden. Dieser hier schien unmittelbar einem Schaufenster entsprungen. Er sah schneidig aus. Er war bestimmt nicht größer als einsfünfzig und wirkte dennoch wie ein Tier, das Wiesel mit den bloßen Zähnen tötet.
    «Dr.   Grün?», fragte er.
    Ich musste mir erst klarmachen, dass er mich meinte. Ich nickte. Er machte eine elegante Verbeugung.
    «Ich bin Dr.   Bekemeier», sagte er. Er deutete zur Tür, durch die er gekommen war, und sprach dabei weiter mit einer Stimme, so knarrend wie das Portal eines transsylvanischen Schlosses. «Bitte, Herr Doktor. Treten Sie ein.»
    Ich ging in sein Büro, wo

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