Das Janusprojekt
nicht um Ihre Kooperation in dieser Sache bitten, wenn wir es nicht für wirklich wichtig hielten.»
Er drückte ordentlich auf die Tube, aber das musste er auch, nach der Meisterschaft in kalter Gleichgültigkeit, die sein militärischer Kollege Dr. Effner an den Tag gelegt hatte. Ich ließ ihn noch ein bisschen reden, weil ich keine Lust hatte, seinen Schwall von Mitleidsbekundungen mit meinen wahren Gedanken zu unterbrechen: dass Kirsten, ehe sie eine Verrückte im Max-Planck geworden war, ein ewig betrunkener Trauerkloß gewesen war und sich mehr zu den Amis hingezogen gefühlt hatte, als mir lieb sein konnte. Wir hatten es nicht immer leicht miteinander gehabt. Deshalb sagte ich, als der Arzt seine Flüsteransprache beendet hatte, mit einem verständnisvollen Nicken: «Na, gut, wir machen es so, wie Sie sagen, Herr Doktor. Wenn Sie meinen, dass es unbedingt sein muss.»
«Es geht weniger um mich als um die Amis», sagte er. «Nach dem, was 1918 war, haben sie wirklich Angst vor einer Epidemie hier in der Stadt.»
Ich seufzte. «Wann soll es passieren?»
«So bald wie möglich», sagte er. «Das heißt, sofort. Wenn Sie nichts dagegen haben.»
«Ich möchte sie erst nochmal sehen», sagte ich.
«Ja, natürlich», sagte er. «Aber versuchen Sie, sie nicht zu berühren, ja? Nur sicherheitshalber.» Er gab mir einen Mundschutz. «Binden Sie den hier lieber um», setzte er hinzu. «Wir haben zwar die Fenster schon aufgemacht, zum Lüften, aber es ist besser, kein Risiko einzugehen.»
9
Am nächsten Tag fuhr ich nach Dachau zu Kirstens Anwalt, der schon für ihren Vater tätig gewesen war, um ihm die Nachricht zu überbringen. Krumper kümmerte sich um den Verkauf des Hotels, bislang jedoch ohne Erfolg. Offenbar wollte im Moment nicht nur niemand in einem Hotel in Dachau übernachten, es wollte auch niemand eins kaufen. Krumpers Kanzlei lag am Marktplatz. Durch das Fenster hinter seinem Schreibtisch hatte man einen hervorragenden Blick auf die Pfarrkirche St. Jakob, das Rathaus und den Brunnen davor, der mich immer an ein Urinal erinnerte. Die Kanzlei hatte den Charakter einer Baustelle, nur dass sich hier anstelle von Mauersteinen und Brettern Akten und Bücher auf dem Boden stapelten.
Krumper war wegen einer Hüftverletzung, die er sich bei einem der vielen Fliegerangriffe auf München zugezogen hatte, an den Rollstuhl gefesselt. Mit seinem Monokel, seiner mürrischen Art, seiner Trickfilmstimme und der dazu passenden Pfeife schien er zwar etwas heruntergekommen, aber er war tüchtig. Er war in Dachau geboren und hatte sein ganzes Leben dort verbracht, ohne auch nur einmal auf die Idee gekommen zu sein, sich dafür zu interessieren, was im Osten der Stadt vor sich ging. Jedenfalls behauptete er das. Trotzdem mochte ich ihn. Er war sehr betroffen, als er von Kirstens Tod erfuhr. Anwälte sind immer sehr betroffen, wenn sie gute Klienten verlieren. Ich wartete die Beileidsbekundungen ab und fragte dann, ob ich seiner Meinung nach mit dem Preis für das Hotel heruntergehen sollte.
«Ich glaube nicht», sagte er bedächtig. «Ich bin sicher, dass wir es loswerden, wenn auch vielleicht nicht als Hotel. Gestern war sogar schon eine Frau hier und hat sich nach dem Objekt erkundigt. Sie hatte ein paar Fragen, die ich ihr nicht beantworten konnte, deshalb war ich so frei, ihr Ihre Geschäftskarte zu geben. Ich hoffe, das war richtig, Herr Gunther.»
«Hatte sie einen Namen?»
«Sie stellte sich als Frau Schmidt vor.» Er legte seine Pfeife weg, klappte das Zigarettenkistchen auf seinem Schreibtisch auf und bot mir eine an. Ich gab uns Feuer, während er fortfuhr: «Eine gutaussehende Frau. Groß. Sehr groß. Mit drei kleinen Narben auf der Wange. Schrapnellnarben vermutlich. Die schienen ihr aber gar nicht viel auszumachen. Die meisten Frauen hätten sich doch die Haare ein bisschen länger wachsen lassen, damit so was nicht so auffällt. Aber die nicht. Nicht jede Frau würde so selbstbewusst damit umgehen, oder?»
Krumper hatte soeben meine Besucherin vom Vorabend beschrieben. Und ich hatte so eine Ahnung, dass es ihr nicht um den Kauf eines Hotels ging.
«Nein, allerdings nicht», sagte ich. Krumper schwieg kurz, schlug dann eine Akte auf, die auf seinem überfüllten Schreibtisch lag. «Ihre Frau hat ein Testament hinterlassen», sagte er. «In dem sie ihren Vater als Alleinerben einsetzt. Seit dessen Tod wurde kein neues Testament gemacht. Aber als ihr nächster Angehöriger erben Sie sowieso alles.
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