Das Jesus Video
Bruder ziehen, was der sicher nicht so toll fände, oder zu meiner Mutter, was ich nicht so toll fände. Wahrscheinlich läuft es darauf hinaus, daß ich mich für die restliche Zeit zu einer anderen Grabung vermitteln lasse.«
Die Sonne schien plötzlich heller zu scheinen. Das waren ja gute Nachrichten! Stephen setzte sich auf, schob seinen Sonnenhut in den Nacken, rutschte mit dem Stuhl näher an sie heran und legte ihr mit halb spaßig gemeinter Dreistigkeit den Arm um die Schultern.»Laß uns so lange wie möglich hier bleiben und ihnen zur Last fallen«, meinte er aufgekratzt.»Laß uns bleiben, bis sie uns rauswerfen.«
Sie duldete die Umarmung, und so ließ er den Arm natürlich, wo er war.
»Ich wollte die Zeit nutzen, um mir darüber klar zu werden, ob ich tatsächlich Geschichte studieren will«, erklärte sie gedankenverloren.»Oder ob ich es nur tue, weil es in der Familie liegt. Ehrlich gesagt, wenn ich mir anschaue, was hier so vor sich geht, frage ich mich, ob ich nicht lieber Betriebswirtschaft studieren sollte. Oder sonst irgend etwas, mit dem man auch Geld verdienen kann.«
Stephen fühlte die Wärme ihres Körpers in seiner Hand, und ihr Haar, das sanft auf seinen Unterarm fiel.»Gute Frage«, meinte er.
Pater Lukas saß vor dem kleinen weißen Tisch und starrte das Telefon an, das darauf stand. Es war ein klobiges Gerät aus schwarzem Bakelit, alt, wie alles hier. Der Tisch stand vor dem Fenster, das hinausging auf den staubigen Innenhof. Das Tor stand offen, weil sie für ihren kleinen blauen Lieferwagen draußen mal wieder keinen Parkplatz gefunden hatten. Dann parkten sie ihn hier drinnen. Er nahm sich vor, daran zu denken, bei dieser Gelegenheit gleich die ganzen Pappkartons aufzuladen, die seit Tagen in einer Ecke herumstanden.
Das Telefon. Pater Lukas sah auf das Notizbuch hinab, das vor seinen gefalteten Händen lag, aufgeschlagen auf einer Seite, bei einer Telefonnummer, von der er nie geglaubt hatte, sie eines Tages zu benötigen. Doch nicht hier, im unbedeutendsten Kloster der Welt.
Und zum hundertsten Mal, seit er sich in den kargen kleinen Büroraum zurückgezogen hatte, blickte er auf zu dem großen Kruzifix, das an der Wand zwischen diesem und dem Fenster daneben hing. Jesus neigte den Kopf, und seine Gestalt wirkte plötzlich nicht mehr wie ein religiöses Kunstwerk aus bemaltem Holz, sondern schien lebendig zu sein. Unter der Dornenkrone schien Blut hervorzuquellen. Er schien ihn anzusehen, ihn, Pater Lukas, Franziskanermönch, seinen unwürdigsten Diener…
War alles nur Phantasie? Hatte sich der Mexikaner einen üblen Scherz mit ihm erlaubt? Nein. Nein, er hatte die Erschütterung des Mannes gespürt, seine inbrünstige Gläubigkeit. Nein. Vielleicht hatte man ihm etwas vorgemacht, das konnte man nicht wissen. Aber jedenfalls hatte er geglaubt, was er gesagt hatte.
Vielleicht…
Eine Videoaufzeichnung, die Jesus Christus zeigte! Was für eine atemberaubende Vorstellung. Was für ein Wunder.
Vielleicht, flüsterte eine leise, leise Stimme in ihm, war das der Grund, warum er hier war.
Vielleicht war ihm von Anfang an eine Rolle in diesem Wunder zugedacht gewesen.
Er hatte demütig den Dienst an den Geringsten geleistet und sich damit würdig erwiesen für diese Stunde.
Es klopfte, und die Tür ging auf. Es war Bruder Geoffrey.»Bruder Lukas, wir sollten allmählich losfahren. Das Hotel erhält seine frische Ware am Sabbat um halb fünf, und eingerechnet das Aufladen der alten Sachen…«
»Einen Moment noch. Einen Moment. Ich komme gleich. Ich muß nur noch ein Telefonat erledigen.«»Gut.«
Die Tür schloß sich. Der Hörer lag schwer in seiner Hand.
John Kaun sah seinen italienischen Vertreter verwundert an, während das reichlich unstandesgemäße Taxi über eine Straße holperte, die für Streitwagen der römischen Legionen geeignet gewesen sein mochte, nicht aber für moderne Kraftfahrzeuge. Soweit man in Zusammenhang mit dem ausgeleierten Gefährt, mit dem Enrico Basso ihn vom Flughafen abgeholt hatte, von modern sprechen konnte.»Was soll das heißen, ein Prälat?«
»Prälat ist der Ehrentitel eines besonders verdienstvollen katholischen Geistlichen.«
»Das weiß ich. Aber ich wollte einen Kardinal sprechen. Den obersten Finanzchef des Vatikans.«
»Der oberste Finanzchef ist der Papst.«
»Der Papst?«
Basso atmete tief durch. Er sah ungesund blaß aus.»Der Papst ist prinzipiell ein absolutistischer Herrscher. Er ist für alles zuständig. Er
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