Das Jesus Video
hinunter. Ryan schien etwas verloren zu haben. Er wanderte die stark gelichteten Reihen der parkenden Autos entlang und suchte den Boden nach irgend etwas ab. Bisweilen bückte er sich, um unter eines der Autos zu spähen. Irgendwann gab er auf und marschierte wieder zurück zu den Wohnwagen.
»Hast du Familienmitglieder im Holocaust verloren?«fragte er leise.»Entschuldigung, falls das eine zu aufdringliche Frage ist.«
»Schon okay. Mein Vater stammt aus Ungarn, und er war der einzige seiner Familie, der rechtzeitig nach Amerika fliehen konnte. Alle seine Geschwister sind in den KZS umgekommen. Von manchen hat er nicht einmal ein Foto retten können.«
»Menez ist kein sehr ungarisch klingender Name.«
»Das ist die amerikanisierte Form von Mennassah, einem alten hebräischen Namen. Der war dem Beamten der amerikanischen Einwanderungsbehörde zu kompliziert.«
»Und deine Mutter?«
»Sie ist hier geboren. Mein Vater kam nach dem SinaiKrieg nach Israel, und sie war seine Assistentin an der historischen Fakultät. So haben sie sich kennengelernt. Später wurde sie seine Assistentin beim Kinderkriegen.«Es klang bitter.
»Du verstehst dich nicht gut mit deinem Vater.«
»Nein.«Ihre Lippen wurden schmal.»Nein, allerdings nicht. Du kennst ihn nicht. Er hat wahrscheinlich fünf Millionen Bücher in seinem Leben gelesen, und nach der ersten Million hielt er sich für schlauer als der gesamte Rest der Menschheit. Immer hat er uns mit den Ideen geplagt, von denen er gerade besessen war. Als ich ein Kind war, wollte er unbedingt beweisen, daß es unter der Altstadt von Jerusalem einen unentdeckten Felsengang gibt. Davor war es das wahre Grab von König David. Danach setzte er sich in den Kopf, die Wanderroute des Volkes Israel beim Ausmarsch aus Ägypten zu rekonstruieren. Im Alleingang, natürlich.«Sie sah ihn von der Seite an.»Und du und dein Vater? Versteht ihr euch?«
Stephen zuckte mit den Schultern.»Schwer zu sagen. Als ich ein Kind war… Ich sehe ihn in meiner Erinnerung immer nur am Schreibtisch. Er ist Rechtsanwalt, weißt du? Er machte seine eigene Kanzlei auf, als ich neun war, und von da an sah ich ihn bis zu meinem sechzehnten Lebensjahr praktisch nicht mehr. In der Zeit hat er regelmäßig mehr als sechsundzwanzig Stunden pro Tag gearbeitet, seinen Honorarrechnungen zufolge jedenfalls.«
»Sechsundzwanzig Stunden?«Es dauerte einen Moment, ehe sie begriff, wie das gehen konnte.
»Das ist das, was Rechtsanwälte normalen Menschen voraus haben«, meinte Stephen.»Sie wissen, wie weit sie’s treiben dürfen und wie sie sich notfalls rausreden können.«
»Klingt auch nicht berauschend.«
»Berauschend wäre entschieden das falsche Wort.«
Sie schwiegen eine Weile. Stephen trank sein Glas vollends leer und stellte es unter seinem Sitz ab. Es war erbarmungslos heiß, und kein Windhauch regte sich.
»Weißt du, was seltsam ist?«fragte er dann.
»Ich wüßte nichts, was hier nicht seltsam ist.«
»Sie stellen die Ausgrabungen ein. Sagen, tschüß Leute, das war’s, vielen Dank. Sehen zu, wie einer nach dem anderen abzieht. Und keiner kommt zu mir und sagt, Mister Foxx, wir hätten gern, daß Sie noch eine Weile bleiben. Oder daß Sie uns zumindest Ihre Telefonnummer geben, falls wir noch Fragen haben.«
Sie sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.»Und das verletzt deinen Stolz, oder was?«
»Unsinn. Das beweist, daß sie von mir nichts mehr erwarten. Ich meine, ich habe das Ding immerhin gefunden. Ich habe es aufgeschnitten wie ein blöder Schatzsucher. Es hätte doch sein können, daß es jemanden interessiert, wie es davor ausgesehen hat. Wie es gelegen hat, als ich es gefunden habe. Ob die Schicht wirklich unverletzt war. Solche Sachen. Aber nein. Man will nicht einmal wissen, was ich jetzt vorhabe.«
»Hmm. Und, was hast du vor?«
Stephen zuckte mit den Schultern.»Gute Frage. Ich könnte natürlich irgendwo in Jerusalem ein Zimmer nehmen. Andererseits bekäme ich dann nichts mehr von dem mit, was hier vor sich geht. Ich weiß es noch nicht. Hängt auch davon ab, was wir heute abend im Labor herausfinden.«Er warf ihr einen kurzen Blick zu und mußte allen Mut zusammennehmen, um zurückzutragen:»Und du?«
Ihr Gesicht verdüsterte sich.»Ich bin ziemlich sauer auf den Herrn Professor. Einfach so an die Luft gesetzt zu werden. Ich habe meine Wohnung für die ganze Grabungszeit an eine chinesische Theologiestudentin untervermietet — toll, was? Jetzt kann ich entweder zu meinem
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