Das Jesus Video
einen Blick zu. Der untersetzte Mann war bleich wie eine getünchte Wand, und auf seiner Stirn drängten sich winzige Schweißperlen.»Gehen wir«, meinte er.
Ryan saß so, daß er durch die Fensterscheibe, die, wie er wußte, von außen verspiegelt war, den Parkplatz im Auge behielt. Wenn sie heute wegfuhren, wollte er wissen, wohin.
Auf dem Schoß hatte er ein flaches Gerät, das an einen dieser tragbaren Fernseher erinnerte, die eine Zeitlang in Mode gewesen waren. Natürlich war es kein Fernseher. Ab und zu schaltete er es ein, und dann tauchte auf dem Bildschirm ein heller Punkt auf, etwa anderthalb Zentimeter von der exakten Bildschirmmitte entfernt. Wenn man das Gerät drehte, wanderte der Punkt in die entgegengesetzte Richtung. Er schien immer in Richtung Parkplatz weisen zu wollen. Das war natürlich kein Zufall, denn dort stand der Wagen, unter dessen Kotflügel der zugehörige Peilsender angebracht war. Ein Mietwagen. Der Wagen von Stephen Foxx, um genau zu sein.
So wartete Ryan. Er war ein Experte im Warten. Wenn es sein mußte, konnte er stundenlang so regungslos sitzen, daß selbst sein Lidschlag und die Atembewegungen seines Brustkorbs kaum mehr wahrnehmbar wurden. Wenn man Leute verfolgte, war es wichtig, warten zu können.
Hier war es nicht so wichtig, reglos zu sein. Es genügte, den Blick auf den Parkplatz gerichtet zu halten. Anfangs hatte er auf die verhaltenen Arbeitsgeräusche weiter vorne gelauscht, auf die Telefonate und das Klappern der Computertastaturen, aber dann hatte er aufgehört, es wahrzunehmen. Wenn man zu warten verstand, schien irgendwann die Zeit selber aufzuhören zu existieren, und das war kein unangenehmer Zustand.
So mußte er auf die Uhr sehen, als Stephen Foxx und Judith Menez auftauchten, einstiegen und losfuhren. Kurz vor halb acht.
Ryan langte nach den Autoschlüsseln, die neben ihm auf dem Schreibtisch lagen.
Die Flügel der hohen Fenster des Büros, das in den offiziellen Bauplänen überhaupt nicht existierte, standen offen. Von weit her drangen die Geräusche des nächtlichen Rom herein, kaum lauter als das Summen der Insekten, die vergebens gegen das Fliegengitter davor anrannten. Auf paradoxe Weise verstärkten diese leisen Laute den Eindruck der absoluten Stille, die in diesem Flügel des apostolischen Palastes herrschte.
Luigi Baptist Scarfaro war ein hagerer, hochgewachsener Sizilianer. Eine ausgeprägte Hakennase, eine hohe Stirn, über der er das schwarze Haar zurückgekämmt trug, und dünne, blutleere Lippen verliehen seinem Gesicht ein aristokratisches Aussehen, das von der Soutane, die er trug, noch unterstrichen wurde. Er war sechsunddreißig Jahre alt, wirkte aber älter. Es war Familientradition, daß einer aus der Familie in die Dienste des Heiligen Stuhls trat, um einen Ausgleich zu schaffen dafür, daß alle übrigen Familienmitglieder für die Mafia arbeiteten, und Luigi war derjenige gewesen, dem die Aufrechterhaltung dieser Tradition in seiner Generation zugedacht worden war. Um einer anderen Familientradition entgegenzuwirken, nämlich der, in relativ jungen Jahren an schwerer Gicht zu erkranken, ernährte er sich streng vegetarisch, rauchte nicht und trank nicht. Trotzdem wiesen auch seine Finger die charakteristischen knotigen Gelenke auf, und seine Zähne waren schlecht. Traditionen hatten etwas Unausweichliches.
Er saß an seinem großen Schreibtisch, der leergeräumt war bis auf eine wuchtige Lampe aus Messing, die einzige Lichtquelle in dem hohen, weiten Raum, und eine burgunderrote Schreibunterlage. Zwei Blatt Papier lagen darauf, säuberlich nebeneinander. Seit Stunden las er sie immer wieder aufs neue durch und dachte nach.
Manches mochte altmodisch wirken in den geheimen Räumen dieser Institution, doch die Mönche und Priester, die hier arbeiteten, konnten auf den größten Fundus an Erfahrungen zurückgreifen, wie wichtige Informationen gewonnen und übermittelt werden konnten, den es gab. Hier hatte man schon Geheimschriften eingesetzt, als der Rest der Bevölkerung noch nicht einmal lesen konnte. Es mochten staubige Folianten sein, die in den Regalen standen, aber sie enthielten die wahre Geschichte der letzten zweitausend Jahre. Informationen zu sammeln und zu Berichten zu kombinieren war leidenschaftsloser Dienst für das Wohl der Kirche, und deshalb waren diese Berichte in der Regel ebenso verläßlich wie präzise.
Diese beiden Papiere bereiteten ihm Kopfzerbrechen.
Das eine war eine Notiz aus der Präfektur der
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