Das Jesus Video
Sprachen, denen man von weitem ansah, daß in ihnen nur die eine Frage wieder aufflammte, die unbeantwortet geblieben war: Was war passiert, daß diese große Grabung abgebrochen wurde? Welchen Grund gab es für eine so drastische Entscheidung? Die ersten Zelte wurden abgebaut und brachen Lücken in die ehemals gleichmäßigen Reihen spitz zulaufender hellgrauer Leinenfirste.
Und weder Professor WilfordSmith noch Shimon BarLev, sein Stellvertreter, ließen sich den Rest des Tages blicken.
Stephen Foxx hatte seine beiden Klappstühle so vor seinem Zelt aufgestellt, daß er die Beine gemütlich hochlegen und dennoch sowohl das Treiben in der Zeltstadt als auch die Wohnwagen im Blick behalten konnte. In der Hand hielt er ein großes Glas mit einer kühlen Flüssigkeit darin, und auf dem Kopf schützte ein weiter Strohhut vor der Sonne, die gnadenlos herabbrannte auf Gerechte genauso wie auf Lumpen.
Die Entscheidung, die Ausgrabungsarbeiten abzubrechen, hatte ihn überrascht. Er mochte es nicht, derart überrascht zu werden. Er mochte es nicht, daß andere bestimmten, wo es lang ging. Und am allerwenigsten mochte er die Vorstellung, daß Judith, die in Jerusalem wohnte, möglicherweise schon heute abend abreiste.
Sicher, sie würden sich noch ein paarmal sehen. Aber ohne die beinahe intime Situation des Zeltlagers mußte er den Flirt mit ihr als gescheitert betrachten.
Damn! Da war er dabei, den großen Johngis Khan zu bezwingen, und an diesem rassigen Weib biß er sich die Zähne aus. Das war nicht fair.
Und da kam sie schon wieder. Kam den Hang herauf, Schritt um Schritt, und ihr langes, lockiges schwarzes Haar fiel ihr je nachdem auf der einen oder anderen Seite auf die Schulter, wenn sie zu ihm hochsah und lächelte. Ein bißchen verlegen lächelte; der Streit vom Frühstück schien sie immer noch zu reuen.
»Dir scheint’s ja gut zu gehen«, meinte sie, als sie bei ihm ankam.
»Das versuche ich immer so einzurichten«, entgegnete Stephen knapp.»Daß es mir gut geht.«
»Bei den Wohnwagen tut sich nichts«, fuhr sie fort, als hätte er nichts gesagt, stemmte die Hände in die ansehnlichen Hüften und blickte hinab auf das Gelände neben dem Parkplatz.»Uns schicken sie fort, aber selber bleiben sie.«
Stephen stellte die Füße zurück auf den Boden, zog den anderen Stuhl neben sich und klopfte flüchtig die Sitzfläche sauber.»Komm«, sagte er.»Setz dich.«
»Oh. Danke. Ich muß sagen, ich bin ganz…«
»Die bleiben auch nicht.«
»Wie bitte? Wer?«
»Kaun und seine Leute.«Er hielt ihr das Glas hin, das den letzten Rest seines persönlichen Erfrischungscocktails enthielt, den er in einer eigens hierfür vorgesehenen Thermoskanne angemischt und seither kühl gehalten hatte. Sie roch daran, schüttelte aber dann den Kopf.
»Danke, lieber nicht. Wie kommst du darauf?«
»Wenn man ihnen ein paar Stunden lang zuschaut, merkt man, daß sie sich sehr wohl auf eine baldige Abreise vorbereiten«, meinte Stephen.»Da kommt einer und entfernt den Sonnenschutz von den Reifen der Wohnwagen. Ein anderer geht umher und sammelt den Abfall ein. Jemand legt neben den Strom-und Telefonkabeln die leeren Kabeltrommeln bereit. Lauter Kleinigkeiten, die aber am Tag des Aufbruchs eine Menge Zeit sparen.«
»Du meinst, sie warten, bis wir alle weg sind, und dann gehen sie auch.«
»Vielleicht schon früher. Mich würde mal interessieren, warum Kaun abgereist ist.«
»Die Sache hier ist uninteressant für ihn geworden. Deshalb läßt er alles abbrechen, und selber geht er als erster.«Ein flüchtiges Lächeln, das er für den Rest seines Lebens hätte anschauen mögen, huschte über Judiths Gesicht.»Vielleicht hatten er und der Professor Streit, und Kaun hat wutentbrannt alle Gelder gestrichen.«
Stephen wälzte diese Vorstellung eine Weile durch sein Hirn. Nein, das paßte nicht zu dem, was er wahrgenommen hatte. Kaun war nicht wutentbrannt abgereist. Er hatte eher gewirkt wie einer, der in einen Kampf zieht.
Er schüttelte den Kopf.»Ist dir aufgefallen, daß sie die Fundstätte immer noch nicht geräumt haben? Das heißt, sie erwarten noch jemanden, dem sie den Fund zeigen wollen. Erst danach werden sie abziehen.«
»Gut möglich.«Judith kniff die Augen zusammen.»Da ist wieder dieser Ryan. Schau mal — was der wohl auf dem Parkplatz zu suchen hat? Mir gruselt immer, wenn ich ihn sehe. Irgendwie erinnert er mich an die ganzen Nazi-Filme.«
Stephen wandte den Blick von ihr ab und sah ebenfalls zum Parkplatz
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