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Das Jesus Video

Das Jesus Video

Titel: Das Jesus Video Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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sagen?«
    Eine Augenbraue der Staatsgewalt zuckte.»Nein, müssen Sie nicht. Aber ich kann Sie vorübergehend festnehmen, weil Sie sich in unmittelbarer Nähe von Regierungsgebäuden verdächtig verhalten.«
    Ryan nickte. Er hatte sich seine Story längst zurechtgelegt.»Na gut, wenn es sein muß… Sehen Sie das Auto dort drüben auf dem Parkplatz? Das gehört dem Mann, mit dem meine Freundin mich betrügt. Ich weiß nicht, wo die beiden gerade sind, aber ich will hier warten, bis sie wiederkommen.«
    »Ah«, machte der Polizeibeamte.
    »Um sie zur Rede zu stellen«, fügte Ryan hinzu.»Nichts weiter. Seit Wochen weicht sie einem Gespräch aus, behauptet, ich würde mir alles nur einbilden…«
    Der Mann seufzte. Sich mit dem Unterarm auf dem Autodach abstützend, beugte er sich zu ihm herunter.»Mein Freund, glauben Sie einem Mann, der zweimal geschieden ist: Das führt zu nichts. Wenn es vorbei ist, ist es vorbei. Lassen Sie sie ziehen.«
    »Aber…«Ryan war verblüfft. Mit soviel Lebenshilfe hatte er nicht gerechnet.
    »Ich kenne das, glauben Sie mir. Aber man macht nur alles kaputt mit solchen Aktionen. Fahren Sie nach Hause, und geben Sie ihr eine Chance, von selber zu Ihnen zurückzufinden. Und wenn nicht — Mann, so, wie Sie aussehen, genügt doch ein Abend in Tel Aviv, und Sie haben die nächste.«
    Ryan starrte den Polizisten an.»Ich würde trotzdem lieber hier auf sie warten, Sir. Die, äh, Sache ein für allemal klären.«
    Der väterliche Blick bekam einen stählernen Glanz.»Tut mir leid, mein Freund, aber das werde ich nicht zulassen. Sie werden jetzt von hier fortfahren und sich heute nacht nicht mehr blicken lassen.«
    »Ich denke, ich muß eine unbeabsichtigte Zeitreise gemacht haben, wie auch immer so etwas geschehen kann. Ich habe keine Erklärung dafür.
    Geschehen ist es während einer Besichtigung der Nekropole von Bet Shearim, die Teil einer Pauschalrundreise durch Galiläa war, die ich gebucht hatte. Als unsere Gruppe durch die Katakomben geführt wurde, vertiefte ich mich so sehr in die Inschriften und Bilddarstellungen auf den Särgen und Wänden, daß ich den Anschluß verlor. Als ich den anderen folgen wollte, verirrte ich mich und fand mich plötzlich in einem kleinen Kellerraum wieder, aus dem ich hochstieg in eine gänzlich veränderte Stadt. Ich brauchte lange, ehe ich akzeptieren konnte, in eine andere Epoche der Geschichte versetzt worden zu sein mit nichts anderem als den Kleidern auf dem Leib und der Videokamera in meiner Filmtasche. Zum Glück nahm mich eine freundliche Familie auf, gab mir zu essen und ein Strohlager, auf dem ich schlafen konnte, und im Lauf der Zeit erlernte ich die Sprache und die einfachen landwirtschaftlichen Arbeiten, so daß ich kein unnützer Esser mehr sein mußte. Ich versuchte natürlich zu verstehen, was mir widerfahren war, und suchte nach Wegen zurück in meine eigene Zeit, jedoch vergebens. Als die jüngere der beiden Töchter meiner Gastfamilie, Esther, und ich uns ineinander verliebten, gab ich meine Bemühungen auf und nahm sie zur Frau, und ich erlebte eine wunderbarere Liebe, als ich mir je hätte träumen lassen.
    Dann kam die Kunde von einem Prediger im nahen Kapernaum zu uns, der Jesus hieß und von dem man sagte, er bewirke Wunder. Da packte ich die Videokamera aus, die ich schon beinahe vergessen hatte, und machte mich auf den Weg. Ich hatte nur ein einziges Batteriepack zur Verfügung, das zudem jahrelang unbenutzt gelegen hatte, doch es funktionierte hervorragend. Vielleicht hat es mit dem heißen Klima hier zu tun, aber wenn man den Batterien eine Zeit absoluter Ruhe gönnte, schienen sie sich von selber wieder aufzuladen. Nach und nach gelang es mir, die drei Videocassetten zu bespielen, die ich bei mir gehabt hatte — die dritte leider nicht mehr ganz, weil die Batterien schließlich doch erschöpft waren.
    Seit mir klar gewesen war, daß ich im Palästina der Zeitenwende gestrandet war, hatte ich in Ängsten gelebt, die mir heute äußerst seltsam vorkommen. Ich befürchtete, der Sinn von allem könnte sein, daß Jesus nie gelebt hat und ich dazu ausersehen war, seine Rolle zu spielen. Als ich ihn dann sah…«
    Damit endete der Text auf dem ersten Blatt.
    Sie standen um die flache Plastikschale herum und sahen auf das feuchte, graue Papier darin hinab, auf dem die Handschrift geisterhaft leuchtete. Ihre Augen brannten. Die Kopfschmerzen, verursacht von Chemikalien, die sie längst nicht mehr rochen, waren mörderisch. Keiner

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