Das Jesus Video
des Amtes; viel Zeit für Privates blieb nicht, schon weil es kaum Privates gab. Im Lauf der Jahre wurde ein Papst zu dem Amt, in das man ihn für den Rest seines Lebens erwählt hatte, verschmolz damit und wurde eins damit. Es war ein Prozeß, in dessen Verlauf die Privatperson, die der Papst einmal gewesen sein mochte, aufhörte zu existieren.
Scarfaro kannte die täglichen Gewohnheiten des Papstes selbstverständlich ganz genau. Selbst kein Freund frühen Aufstehens, wurde er kurz vor sieben bei dem Privatsekretär, der den Terminkalender des Kirchenoberhauptes verwaltete, vorstellig, um eine Audienz zu erhalten. Der Sekretär war ein griesgrämig dreinblickender Franzose mit schütterem Haar, der um die fünfzig sein mochte, und er wußte nicht, welche Position Scarfaro eigentlich bekleidete. Alles, was er wußte, war, daß der Heilige Vater ihn angewiesen hatte, den Sizilianer jederzeit zu ihm zu lassen.
Die Gemächer des Papstes waren die eines mittelalterlichen Fürsten. Wände, Decken, Böden — alles trug so viel Prunk und Protz, wie sich nur darauf hatte unterbringen lassen. Kostbare Malereien an den Wänden, aufwendige Intarsien im Fußboden, verspielter Stuck an der Decke, wuchtige Ölgemälde in wuchtigen Goldrahmen, Gobelins, Kronleuchter, ein monströses Himmelbett mit barockem Baldachin -und überall Kruzifixe in allen Größen, Farben und Formen. Nichts davon gehörte wirklich dem Mann, der das Amt bekleidete, oder war Ausdruck seiner Persönlichkeit; er übernahm alles von seinem Vorgänger und gab es an seinen Nachfolger weiter, und wenn man Gelegenheit hatte, sich an all die Pracht zu gewöhnen, die einen zuerst schier erschlug, dann spürte man, daß man sich eher in einer Art bewohntem Museum aufhielt als in wirklich behaglichen Räumen. Obwohl er wußte, daß selbstverständlich regelmäßig und gründlich geputzt wurde, schien es Scarfaro hier immer staubig zu riechen.
Der Papst saß in einem hohen Sessel mitten in seinem Arbeitszimmer, an einem der hohen Fenster, so daß das Licht der frühen Sonne auf ihn fiel. Auf einem Tischchen neben ihm stand ein Glas Tee, und eine Mappe mit Zeitungsausschnitten, die alle vergrößert fotokopiert worden waren, damit er sie leichter lesen konnte, ruhte auf seinem Schoß. Er schreckte hoch, als Scarfaro den Raum betrat. Er schien eingenickt gewesen zu sein.
»Das Frühstück strengt mich immer mehr an«, sagte der Papst leise, als Scarfaro vor ihm niederkniete und seinen Siegelring küßte.»Jeden Morgen bete ich um die Kraft, den Tag durchzustehen, doch jeden Tag spüre ich die Kraft eher schwinden.«
Scarfaro betrachtete den Mann in der weißen Soutane aufmerksam. Er sah ein Gesicht, das vom Alter gezeichnet war, in dem der nahende Tod schon zu erkennen war. Er sah Hände, die zunehmend stärker zitterten, je stärker die Parkinson-sche Krankheit voranschritt, die das Oberhaupt der katholischen Kirche befallen hatte.
Der Papst deutete mit einer winzigen Bewegung auf einen Stuhl in der Nähe, den sich Scarfaro mit einer raschen Bewegung heranholte.»Was führt dich zu mir, Baptist?«
»Es sind Ausgrabungen gemacht worden, Euer Heiligkeit«, begann Scarfaro seinen Bericht,»in Israel…«Er sprach leise, keine zehn Zentimeter vom Ohr des Papstes entfernt, führte präzise alle Details an und fügte am Schluß seine eigene Deutung der Ereignisse an. Dann schwieg er und ließ dem greisen Kirchenoberen Zeit zum Nachdenken.
Der Papst dachte lange nach. Die Hände übereinandergelegt, sah er aus dem Fenster, das ihn über ein strahlendes Rom blicken ließ, und bewegte dabei fortwährend leicht den Kopf auf und ab, so leicht, daß man nicht sagen konnte, ob dies auch Parkinson war oder nur ein sehr nachdenkliches Nicken.
»Ich glaube, du irrst dich, Baptist«, sagte er schließlich halblaut, und einen Moment lang klang seine Stimme wieder fest und zuversichtlich wie früher.»Ich glaube, dieser John Kaun wollte uns seinen Fund tatsächlich verkaufen. Deshalb hat er sich an eine Finanzinstitution gewandt.«
»Aber er hat ihn doch noch gar nicht. Wenn es ihn überhaupt gibt.«
Der Papst seufzte.»Ich wollte, Gott hätte mich schon abberufen, und ein Jüngerer stünde nun an meiner Stelle, einer, der noch die nötige Kraft hat. Aber nun muß es so gehen. Baptist, gehe nach Israel. Tu, was nötig ist für das Wohlergehen der Kirche.«
Scarfaro atmete überrascht ein, beugte dann das Haupt, während sich in seinem Hinterkopf die Gedanken schon
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