Das Jesus Video
Straße, an der das Parken ohnehin verboten war; die Leute, die kamen und gingen, waren entweder zu jung, zu alt oder zu weiblich, um zu Ryans Männern gehören zu können; und der einzige, der nicht zielstrebig irgendwohin unterwegs war, war ein fliegender Händler, der seinen Obstkarren vor dem Gitterzaun abgestellt hatte und Orangen an Passanten verkaufte.
Stephen lauschte in sich hinein. War da eine warnende Stimme? Nein. Ein diffuses Unwohlsein im Bauch? Auch nicht. Er glaubte nicht, daß das eine raffinierte Falle war. Wenn Ryan gewußt hätte, daß er hier war, dann hätte er keine solchen Manöver veranstaltet. Alles, was er zu tun gehabt hätte, wäre gewesen, draußen auf ihn zu warten, ihm beim Herauskommen unauffällig das Bowiemesser in die Rippen zu halten und ihn aufzufordern, mitzukommen. So einfach wäre das gewesen, und er hätte keine Chance gehabt, auf die irgendwer gewettet hätte.
Also gut. Risiko. Stephen verließ den Lesesaal und ging die breite, ebenfalls mit flauschigem Teppich ausgelegte Treppe hinab. Eisenhardt stand an der Fensterfront neben dem Eingang, spähte hinaus, ein dickes, ledergebundenes Ringbuch unter den Arm geklemmt, die Hände tief in den Hosentaschen vergraben, und hörte ihn nicht kommen.
»Mister Eisenhardt?«machte Stephen schließlich auf sich aufmerksam, als er unmittelbar hinter ihm stand.
Der Schriftsteller fuhr herum, die Augen weit aufgerissen, als spüre er den plötzlichen Herztod nahen.»Mister Foxx! Mein Gott, habe ich mich erschreckt! Wo kommen Sie denn her?«
»Um ehrlich zu sein, ich war die ganze Zeit hier. Ich saß oben im Lesesaal, als Sie anriefen.«
»Was?!«Der Schriftsteller blinzelte irritiert.»Wirklich? Was für ein Zufall.«»Ja.«
Eisenhardt schüttelte den Kopf.»In einem Roman dürfte man so etwas nicht bringen«, meinte er dann und lächelte verlegen.»Aber das Leben kann sich alles erlauben…«
Wahrscheinlich mußte jemand mit so einem Beruf die Dinge auf diese Weise sehen, dachte Stephen.»Sie wollten mich sprechen. Worum geht es?«
»Ja, also… Ich weiß gar nicht recht, wie ich anfangen soll…«
»Vielleicht setzen wir uns in eine ruhige Ecke?«schlug Stephen vor und deutete auf einen der freien Tische, der etwas abseits stand und ungestörte Ruhe verhieß.»Möchten Sie etwas trinken?«
Ein Glas Mineralwasser später meinte der Schriftsteller, der immer noch wie ein Nervenbündel aussah:»Darf ich Sie geradeheraus etwas fragen, Mister Foxx?«
»Nennen Sie mich Stephen. Ja, klar. Was Sie wollen. Im schlimmsten Fall antworte ich nicht.«
»Wissen Sie, wo die Kamera ist?«
Stephen lehnte sich zurück.»Ich fürchte, da haben wir schon den schlimmsten Fall.«
»Ja, ich verstehe. Entschuldigen Sie.«Eisenhardt hatte sein Ringbuch vor sich auf den Tisch gelegt und fuhr dessen Konturen fortwährend mit den Fingern nach. Aus einer Halterung ragte der Clip eines Kugelschreibers.»Kaun hat in dem Labor die Kamera gefunden, mit der Sie offenbar die Entzifferung der ersten Seite des Briefes fotografiert haben. Aus dem Text ist zu entnehmen, daß es sich bei der Zeitreise nicht um ein geplantes Unternehmen handelte — was alle bisherigen Überlegungen in Frage stellt. Da es so aussieht, als ob der Brief unwiderruflich zerstört ist, hat Kaun anscheinend die Hoffnung verloren, das Video jemals zu finden.«
Stephen atmete unwillkürlich tiefer ein.»Und warum erzählen Sie mir das?«fragte er dann.
»Weil«, sagte Eisenhardt und beugte sich vor, um leiser sprechen zu können,»ein Vertreter des Vatikans aufgetaucht ist, ein Mann namens Scarfaro. Ich habe das Gespräch zufällig mitgehört, Kaun weiß nichts davon. Er versucht, alle bisherigen Funde an die katholische Kirche zu verkaufen — für zehn Milliarden Dollar.«
»Ah«, machte Stephen. Zehn Milliarden Dollar? Kaun war es wohl tatsächlich gewohnt, in großen Dimensionen zu denken. Und was würde geschehen, wenn sie die Kamera bargen und damit ankamen?»Phantasievolle Zahl. Aber die werden ihm doch die Hölle heißmachen, wenn sie die Kamera nicht finden.«
»Nein. Mein Gefühl ist, daß er darauf spekuliert, daß die Kirche überhaupt kein Interesse daran hat, daß das Video gefunden wird. Er will, daß sie dafür zahlen, alles vertuschen zu können.«
»Meinen Sie wirklich, die Kirche hat Angst vor diesem Video?«
»Aber natürlich!«Der Schriftsteller riß die Augen auf.»Haben Sie jemals ein Buch gelesen und dann den Film dazu gesehen, ohne enttäuscht gewesen zu
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