Das Jesus Video
überraschen«, meinte der Archäologe geheimnisvoll, während er den Fernseher einschaltete und sich dann mit der Fernbedienung auf seinen Stuhl zurückzog.»Lassen Sie sich einfach überraschen.«
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PETER EISENHARDT, ZWEIUNDVIERZIG Jahre alt, verheiratet, zwei Kinder, von Beruf Schriftsteller, erlebte an diesem Nachmittag die größte Enttäuschung seines Lebens. Er war überrascht gewesen, als sich Stephen Foxx nach so langer Zeit bei ihm gemeldet hatte — wie er im Grunde immer überrascht war, wenn jemand einfach so bei ihm anrief. Zuerst hatte der junge Amerikaner einfach ein paar Fragen gehabt, das lange zurückliegende Abenteuer in Israel betreffend, und er hatte sie, so gut es sein Erinnerungsvermögen und seine Beherrschung der englischen Sprache zuließen, beantwortet. In den darauffolgenden Tagen und Wochen hatte Foxx immer wieder angerufen, höflich, niemals aufdringlich, und ihm seine Überlegungen geschildert. Mit zunehmender Faszination hatte er verfolgt, wie Stephen die kleinen, scheinbar nebensächlichen Fakten zusammengetragen und messerscharfe Schlußfolgerungen gezogen hatte. Als sich abzeichnete, daß Professor WilfordSmith wahrscheinlich seit Jahrzehnten im Besitz einer — bisher unlesbaren — Videocassette aus dem Bestand des Zeitreisenden war, hatte etwas von ihm Besitz ergriffen, das sich wie Fieber anfühlte und ihm schlagartig verständlich machte, was die Menschen empfunden haben mußten, die einst den Verheißungen des Goldrausches gefolgt waren. Ja, auch er hatte, ohne sich dessen bewußt zu sein, an dem enttäuschenden Ausgang der Jagd nach der Kamera gelitten. Was geschehen war, hätte nicht geschehen dürfen. In diesen kühnen Gedankengängen nun die Möglichkeit auftauchen zu sehen, daß keineswegs alles endgültig verloren sein mußte, schien wie eine Verheißung zu sein, daß letzten Endes doch die Gerechtigkeit siegte.
Er hatte dabeisein wollen. Seinem Terminkalender und seinem Bankkonto zum Trotz hatte er seinen Schreibtisch im Stich gelassen und einen Flug nach London gebucht, um sich dort mit Stephen Foxx zu treffen, der aus den USA angereist kam. Aus unerfindlichen Quellen hatte Foxx gewußt, daß Professor WilfordSmith, der, seit er sich aus der aktiven Forschung zurückgezogen hatte, mehr als je zuvor umherreiste, an diesem Morgen zu Hause sein würde. Sie hatten ein Auto gemietet und eine Straßenkarte gekauft und waren nach Barnford gefahren. Eisenhardt hatte den Posten des Lotsen übernommen und Foxx das Steuer überlassen, der mit dem Linksverkehr erstaunlich gut zurechtkam.
Und nun - das…!
Zuerst tanzten nur bunte Schlieren über den Schirm, die an die Farbspiele erinnerten, die man auf einer CD beobachten konnte, wenn man sie ins Licht hielt und hin und her bewegte.
»Es sind nur etwa fünfundzwanzig Minuten erhalten«, erklärte der Professor dazu.»Vielleicht sind die Aufnahmen doch nicht so haltbar, wie behauptet wird.«
Allmählich schälte sich ein Bild heraus, ein wackelndes, amateurhaftes Bild. Eine Landschaft, die Palästina sein mochte oder Griechenland, ohne besondere Merkmale. Menschen, die rauhe, schmucklose Kleidung trugen. Schließlich richtete sich die Kamera auf einen Mann mit langem, wallendem Haar, einem schmalen Gesicht und einer scharf geschnittenen Nase, der auch sonst den verbreiteten Jesusbildern in Kirchen und auf Heiligengemälden verblüffend ähnlich sah. Er saß mit einigen Männern an einem Tisch und aß etwas, und eine buntgemischte Volksschar stand um sie herum.
Eisenhardt runzelte unwillig die Stirn. Was sollte das denn werden? Er hatte erwartet, die Bergpredigt zu sehen, oder die Speisung der Fünftausend, oder wie Jesus über das Wasser ging. Oder — bei diesem Gedanken lief ihm ein Schauer über den Rücken — die Kreuzigung selbst. Auf den Flug nach London hatte er seine alte, unbenutzte Konfirmationsbibel mitgenommen, noch einmal in den Evangelien gelesen und sich gefragt, was der Zeitreisende von all diesen legendären Ereignissen wohl gefilmt haben mochte. Immerhin war er der einzige gewesen, der genau gewußt hatte, was geschehen würde, und man konnte erwarten, daß er sich die zur Verfügung stehende Aufnahmezeit gut eingeteilt hatte.
Doch dieser Mensch hatte nichts Besseres zu tun gewußt, als Jesus — einen angeblichen Jesus — zu filmen, wie er aß und trank und sich mit Leuten unterhielt, die mit ihm am Tisch saßen?
Der Schriftsteller lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Das
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