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Das Jesus Video

Das Jesus Video

Titel: Das Jesus Video Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
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klaffender Abgrund — war es, der ihn angetrieben hatte mit jener verzweifelten Kraft, die hinter allem gestanden hatte, was er unternommen hatte.
    Es heißt, wer hineinsieht, ist nicht mehr derselbe danach. Was immer darin zu sehen ist, es verändert einen Menschen für immer.
    Ja, dachte er, ja. Bitte verändere mich. Laß mich diesen Frieden spüren, an dieser Wahrhaftigkeit teilhaben, öffne mich für diese Liebe. Bilder schössen ihm durch den Sinn, Erinnerungen an die Jagd nach der Kamera, und er schämte sich für die Haltung, mit der er diese Jagd betrieben hatte, diesen gierigen Raubzug, in dem er der Erste und Beste, der Klügste und Stärkste sein wollte, in dem es ihm letztlich nur darum gegangen war, sich zu beweisen in einem halsbrecherischen Wettbewerb mit einem Erfolgsgiganten wie John Kaun.
    Kampf, immer nur Kampf. Das Leben zu leben, als führe man Krieg dagegen. Und all das… war überhaupt nicht nötig!
    Er ließ sie laufen, seine Tränen. Tränen der Erleichterung. Tränen eines ganzen Lebens.
    Es geschah nichts Großartiges. Der Mann aß, unterhielt sich mit den Menschen, die ihn umgaben. Man brachte ein krankes Mädchen zu ihm, worauf er die Schüssel beiseite stellte (mit einer so wunderbaren, so grandiosen Handbewegung, daß Stephen alle Ballettänze der Welt hergegeben hätte für diese eine Bewegung) und sich dem Kind zuwandte, ihm die Hand sanft auf den Kopf legte und dann leise, kaum vernehmbar, mit ihm sprach. Es hatte etwas sehr Inniges, sehr Vertrautes, wie die beiden einander ansahen. Dann, nachdem der Mann das Kind etwas gefragt hatte, begann es zu antworten, scheu zu lächeln, und eine der Frauen unter denen, die zusahen, die Mutter vielleicht, preßte fassungslos die geballten Fäuste vor den Mund, wie um einen Schrei zu unterdrücken: Vielleicht war das Mädchen bis dahin stumm gewesen und hatte nun die Sprache wiedergefunden? Unter großer Aufregung nahm man das kleine Kind wieder in Empfang, pries den Mann, der es auch in diesem Augenblick fertigbrachte, zugleich Würde, Liebe und Demut auszustrahlen, die Dankbarkeit entgegenzunehmen, ohne so zu wirken, als sei er stolz auf sich; er hob leicht die Stimme und erklärte etwas, in seiner volltönenden, zugleich warmen und kraftvollen Stimme, wies zum Himmel dabei und sah schließlich hinauf, das Gesicht seinerseits so voller Dankbarkeit, daß die Umstehenden erschaudernd verstummten.
    Später erhob er sich, dankte den Gastgebern innig und ging dann im Kreis seiner Begleiter davon, einen kleinen Hügel hinab, und ohne langsam oder zögerlich zu wirken, setzte er seine Füße doch so bedächtig auf, daß man meinen konnte, er liebkose den Boden damit. Jede seiner Bewegungen war so vollkommen wie die Bewegungen der Gestirne am Himmel. Jedes Wort, das er sprach, war Gesang, war ein vollkommener Klang.
    Doch mit keiner seiner Gesten, mit nichts in seiner Haltung sagte er auch nur den Bruchteil einer Sekunde lang: Ich bin Gott, und ihr seid nur Menschen. Jede seiner Gesten, seine ganze Haltung verkündete unaufhörlich nur dieses eine: Seht mich an! Seht, was möglich ist! Nichts an mir ist anders als an euch, auch ihr könnt dieses wunderbare Leben in seiner Vollkommenheit haben! Nichts ist für mich möglich, was nicht auch für jeden einzelnen von euch möglich wäre!
    Abseits der Menschen, die gekommen waren, um seinen Weg zu säumen, stand ein alter, kranker Bettler, der wohl nur einmal sehen wollte, von wem da die Rede war, aber er hielt sich klein und unauffällig im Hintergrund, sich seines Wertes unter den anderen wohl bewußt. Doch der, den von fern zu sehen er gekommen war, entdeckte ihn, bahnte sich einen Weg durch die Menschen, die entsetzt dreinblickten, als sie erkannten, wohin er wollte. Alles verstummte, als sie miteinander sprachen, der Gesegnete und der Bettler. Der alte Mann begann zu weinen, und in den Gesichtern ringsum zuckte es eigenartig. Doch dann, je länger der Mann zu ihm sprach, desto mehr straffte sich die gebeugte, ausgemergelte Gestalt, desto mehr begann das Gesicht zu leuchten, wieder lebendig zu werden, begannen die Augen zu strahlen, bis er überhaupt nicht mehr aussah wie ein Bettler, sondern wie einer, der sich verkleidet hatte.
    Dann, plötzlich, zogen wieder farbige Schlieren über das Bild, und es verschwand.
    Sie sahen hoch.
    Peter Eisenhardt: gelangweilt, fast angewidert.
    Stephen Foxx: verwandelt.
    Glas splitterte. Laut, häßlich, gewalttätig.

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    DARF ICH FRAGEN, meine Herren«, fragte

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