Das Jesus Video
allesamt Zeitreisende aus den verschiedensten Epochen der weiten Zukunft gewesen waren.
Was ihn natürlich sofort wieder an Stephen Hawkings Argument denken ließ. Wenn die Zeitreise wirklich demnächst erfunden wurde, würde es dann nicht zwangsläufig irgendwann Abenteuerreisen in die Vergangenheit geben, zu den großen Ereignissen der Weltgeschichte? Treffen Sie Leonardo da Vinci! Sehen Sie zu, wie Michelangelo die Sixtinische Kapelle ausmalt! Begleiten Sie Christoph Columbus auf seiner historischen Fahrt in die Neue Welt! Mußte dasselbe dann nicht für alle Epochen gelten, für alle bedeutenden Ereignisse? Wenn irgendwann demnächst die Zeitreise entwik-kelt und von da an betrieben wurde, dann mußte die Vergangenheit wimmeln von Reisenden aus der Zukunft, mußte die Geschichte voll sein mit Touristen. Und womöglich blieb es nicht beim bloßen Sightseeing. Besteigen Sie den römischen Kaiserthron — feiern Sie Orgien, wie es sie verschwenderischer und dekadenter niemals gegeben hat!
Und wenn das, was John Kaun und Professor WilfordSmith glaubten, der Wahrheit entsprach, dann war hier nicht von einer Entdeckung die Rede, die irgendwann einmal, vielleicht im vierundzwanzigsten oder sechsunddreißigsten Jahrhundert gemacht werden würde — bis dahin mochte so viel geschehen, so viel Geschichte in Vergessenheit geraten, daß Columbus und da Vinci unbehelligt bleiben konnten -, nein, dann war die Rede von einer Entdeckung, die unmittelbar bevorstehen mußte. Die Videokamera, von der hier die Rede war, würde in drei Jahren auf den Markt kommen. Wenn man die derzeitigen Produktentwicklungszeiten zugrundelegte, war es unwahrscheinlich, daß sie länger als drei weitere Jahre das Top-Modell bleiben würde. Mit anderen Worten, die Rede war von den nächsten sechs Jahren! Spätestens in sechs Jahren mußte der Mann aufbrechen, dessen Knochen sie hier freigeschaufelt hatten.
War die nächste Frage, wie er das technisch bewerkstelligen würde. Würde er eine Art Zeitmaschine benutzen, wie in dem Roman von H.G. Wells? Wie mußte man sich eine solche Maschine vorstellen? Würde das ein kleines, handliches Gerät sein, das man bequem am Gürtel tragen konnte, oder eher eine monströse technische Apparatur, groß wie ein Kraftwerk? Wenn letzteres der Fall war, dann würde der Aufbruch des Zeitreisenden wohl kaum unbemerkt bleiben. Vielleicht würde es einen großen Medienrummel geben, eine Direktübertragung in alle Welt, vergleichbar der Berichterstattung von der Mondlandung. Das konnte man sich gut vorstellen: auf der einen Seite die Zeitmaschine, der tapfere, selbstlose Zeitreisende davor, der in die Kameras winken, vielleicht ein paar letzte Worte sagen würde — etwas in der Art»Ein großer Schritt für einen Menschen…«-, ehe er aufbrechen würde zu seiner Reise ohne Wiederkehr. Und dann, sofort nachdem er gestartet war, würden die Ausgrabungsarbeiten an der vereinbarten Stelle beginnen, an einer sorgfältig ausgewählten Stelle, einer Stelle, von der alle namhaften Historiker übereinstimmend der Meinung waren, daß sie seit den Zeiten Jesu unberührt geblieben war. Dort würde man Videocassetten mit Aufnahmen von Jesus Christus finden, denn der Zeitreisende war ja damals dabeigewesen und hatte die Cassetten dann an genau dieser Stelle deponiert. Und Milliarden von Fernsehzuschauern in aller Welt würden live dabei sein, wenn diese Aufnahmen abgespielt wurden…
Eisenhardt hielt inne, langte noch einmal nach dem roten Filzstift und malte einen dicken Punkt neben die entsprechenden Stichworte. Irgend etwas war noch an dieser Vorstellung, über das er würde nachdenken müssen. Etwas hakte noch. Irgendein Gedanke, der es noch nicht bis ins Tagesbewußtsein geschafft hatte. Ein Gedanke, der wichtig war.
Gut, aber weiter. Wenn es eine Zeitmaschine gab — also ein Gerät, das den Reisenden in die Vergangenheit beförderte, so wie eine Rakete einen Astronauten auf den Mond transportierte -, dann war die nächste Frage, wo dieses Gerät abgeblieben war. Und warum es nicht möglich gewesen sein sollte, damit auch den Rückweg zu bewerkstelligen.
Darauf, hatte Eisenhardt gefunden, gab es eine einfache Antwort. Sie würde Kaun und WilfordSmith nicht gefallen, aber sie war nicht von der Hand zu weisen.
Wo stand denn geschrieben, daß nur ein einziger Zeitreisender in die Vergangenheit aufbrechen würde? War es nicht viel wahrscheinlicher und naheliegender, daß man ein ganzes Team schicken würde? Für einen
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