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Das Jesusfragment

Das Jesusfragment

Titel: Das Jesusfragment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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verheimlichen, aber Tatsache ist, dass da Vinci schwul war und basta. Es gab sogar einen Prozess, bei dem er wegen Unzucht mit einem Siebzehnjährigen vor Gericht stand, und auch wenn er bei dem Mal freigelassen wurde, hat er doch drei Jahre später wegen unzüchtigen Lebenswandels sechs Monate im Gefängnis verbracht.«
    »Das habe ich nicht gewusst«, gestand ich verdutzt.
    »Ja, das wird in seiner Biografie gern vergessen, amüsant, nicht wahr? Man braucht nur einen Blick auf seine Arzneibücher zu werfen und die Anmerkungen neben seinen anatomischen Zeichnungen zu lesen, dann sind alle Zweifel ausgeräumt!«
    »Gut, dann sei dem so«, mischte sich Sophie ein, »und was noch?«
    »Nun, vielleicht ist das schon ihr Geheimnis. Auf jeden Fall ist korrekt, dass da Vinci an diesem Bild besonders hing.«
    »Und Sie wissen nichts Besonderes über seine Entstehung?«, fragte ich aufs Geratewohl.
    »Ich könnte Ihnen stundenlange Vorträge über die geometrische Konstruktion der Mona Lisa halten, über den Blick, das Lächeln, die Haltung der Hände. Aber ich sehe nicht, inwiefern Ihnen das helfen könnte. Vielleicht sollten Sie mir diese Kopie mit ihren Bleistiftspuren bringen. Möglicherweise entdecke ich etwas, das Ihnen entgangen ist. Was soll ich sagen? Interessant ist bei der Mona Lisa die Lasur. Da Vinci malte mit Öl, das er etwas verdünnte, was ihm ermöglichte, mehrere Schichten durchscheinender Farben übereinander aufzutragen. Infolgedessen konnte er auf der Suche nach Perfektion endlos an der Modellierung des Gesichts arbeiten. Diese Technik nannte er sfumato.«
    Ich warf Sophie einen Blick zu. Vielleicht ergab das eine interessante Spur.
    In diesem Augenblick hatten wir beide das gleiche Gefühl, die gleiche Vorahnung.
    »Ich zeige dir gleich die Kopie«, versprach Sophie. »Vielleicht sagen dir die Bleistiftmarkierungen mehr als uns. Aber zuerst zur Melancolia. Was kannst du über dieses Bild erzählen?«
    »Das ist eine andere Geschichte. Hier haben wir es nämlich mit einem symbolischen Kupferstich zu tun, und mit einem der kompliziertesten! Es gibt keinen einzigen Quadratzentimeter auf diesem Bild, der nicht mit Symbolen ausgefüllt wäre. Stellen Sie sich abertausende möglicher Interpretationen vor, die Historiker und Kritiker gefunden haben, seit es diesen Stich gibt.«
    »Aber was können Sie in aller Kürze darüber sagen?«, beharrte ich. »Was stellt dieser Engel dar?«
    »Das ist doch kein Engel!«, korrigierte mich Jacqueline und verdrehte erneut die Augen. »Es ist eine Allegorie. Eindeutig die Allegorie der Melancholie! Im Übrigen lautet der genaue Titel des Kupferstichs nicht Melancolia, sondern Melancolia I. Und glauben Sie mir, man hat auch über diese Eins allerlei Unsinn verbreitet. Aber lassen wir das. Die Person stellt also eine Allegorie dar, sie besitzt alle Attribute der klassischen Melancholie, bis zu dem Köter, der ihr zu Füßen liegt, und alle Symbole, die sich auf Saturn beziehen wie die Fledermaus, die Waage, das Kohlenbecken der Alchimisten, das, wenn ich mich richtig erinnere, im Hintergrund glüht.«
    Sophie zog die Kopie des Kupferstichs aus ihrem Rucksack und reichte sie ihrer Freundin.
    »Danke. Ja, und hier sehen Sie, dass viele Elemente an die christliche neuplatonische Auslegung der Schöpfung als mathematische Ordnung gemahnen.«
    »Wie?«, unterbrach ich sie. »Bitte, keine hochphilosophischen Erklärungen! Bleiben wir auf dem Teppich. Tut mit Leid, aber ich reagiere leicht allergisch auf die Sprache der Kunstkritiker.«
    Sie grinste.
    »Sagen wir mal so: Albrecht Dürer war wie Leonardo da Vinci oder Jacopo de Barbari der Meinung, dass ein enger Zusammenhang zwischen Geometrie und Ästhetik besteht. Die Kunst ist bereits in der Natur, in der Schönheit der Naturgesetze, Harmonie, Geometrie, Arithmetik.«
    »Einverstanden! Ich werde Ihre Dissertation lesen. Aber was ist im großen Ganzen der eigentliche Sinn des Kupferstichs?«
    »Melancholie handelt von der Feststellung, dass die weltliche Gelehrsamkeit gescheitert ist. Können Sie mir folgen?«
    »Vage.«
    »Wie gelehrsam wir auch sein mögen, wie gut unsere Kunstkenntnisse auch sein mögen – wie die sieben freien Künste, die auf diesem Kupferstich durch die Leiter mit sieben Stufen symbolisiert werden – wir werden niemals das absolute Wissen erlangen können.«
    Ich warf Sophie einen Blick zu. Der Zusammenhang mit unserem Rätsel schien mir plötzlich eindeutig. Das absolute Wissen. War das nicht die

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