Das Jesusfragment
kommt.«
Wir parkten in der Rue Drouot und gingen die Rue de Provence hinauf, vorbei an Antiquitätenhändlern, kleinen Läden für alte Briefmarken und Auktionsbüros. Die Rue Cadet war eine Fußgängerzone, voller Menschen auf den Gehwegen und auf der Straße. Kleine Cafés, Hotels, Fleischereien, winzige Kramläden drängten sich auf dem dichten Raum eines belebten Viertels.
Der Tempel des französischen Groß-Orients war ein relativ modernes und beeindruckendes Gebäude, das sich klar von den alten Häusern seiner Umgebung abgrenzte. Das hohe silberne Schaufenster muss zu Zeiten seiner Entstehung futuristisch gewirkt haben, inzwischen besaß es den Charme eines Science-Fiction-Films aus den siebziger Jahren. Wie vor Kirchen, Schulen und Synagogen, hatte die Polizei in diesen bewegten Zeiten Barrieren entlang der Fassade aufgestellt, um die Autofahrer zu hindern, vor dem Haus zu parken, was dem Tempel den Anschein eines Botschaftsgebäudes verlieh. Badji hatte François schon öfter zum Groß-Orient begleitet. Mit seiner Waffe im Schulterhalfter durfte er nicht ins Haus, sondern setzte sich in ein kleines Café gegenüber, um auf uns zu warten.
Der Bodyguard zwinkerte mir zu, bevor er uns verließ. Mir wurde langsam bewusst, dass die Paranoia mich nach und nach verließ, seit er mich begleitete. Er hatte versprochen, diskret zu sein, und er war am Ende viel mehr als nur das. Er war herzlich und beruhigend zugleich. Wie ein großer Bruder, und vor allem wie ein Schild, der einen Teil des Ärgers auf sich nahm und von uns abhielt. Und das tat gut. Ich hatte zufällig ein oder zwei Anrufe mitgehört, die er erhalten hatte. Seine Angestellten fragten, ob er damit rechne, noch lange wegzubleiben. Er erklärte jedes Mal, dass er auf ›einer wichtigen Mission‹ sei und, dass er die dafür nötige Zeit wegbleiben würde. Er gab uns den Vorzug vor seinem eigenen Laden. Vor seinen Schülern. Er war ein klasse Typ. Absolut. Ein Freund von François.
Nachdem wir am Eingang zum Tempel unsere Ausweise vorgelegt hatten, betraten wir schweigend die Bibliothek. Sophie war auf der Hut. Sie war bereit, den geringsten Fehler, die kleinste Geschmacklosigkeit zu kritisieren.
Der Bibliothekar entdeckte François und empfing uns herzlich. Er war ein Mann um die sechzig, mit einer Lesebrille, mit lockigem grauem Haar und dichten weißen Augenbrauen.
»Hier«, sagte er und reichte François ein Blatt Papier, »der Begriff Iorden erscheint mindestens einmal in jedem der hier aufgelisteten Bücher. Nun, mein Bruder, kannst du dein Glück versuchen.«
»Danke«, erwiderte François.
Wir ließen uns an einem der Tische in der Bibliothek nieder, während François sich auf die Suche nach den Büchern machte, die der Bibliothekar aufgelistet hatte. Wir waren die einzigen Besucher, und ich fragte mich sogar, ob François den Saal nicht allein für uns hatte öffnen lassen. Eine seltsame Stimmung herrschte. Fast mystisch. Die ganze Atmosphäre atmete den besonderen Charakter dieses Ortes.
»Da«, flüsterte François, der mit einem Arm voller Bücher zurückkehrte. »Nimm, Damien, such du hier drin, und Sie, Sophie, nehmen diese Bücher da.«
Er verteilte die Bücher gleichmäßig, und wir vertieften uns wie die Musterschüler jeweils in unsere Arbeit.
Der Stein von Iorden war nicht einmal im Index der beiden Bücher aufgeführt, die François mir gegeben hatte, was nur bewies, wie extrem genau die Hinweise des Bibliothekars waren, und ich beschloss also, die beiden Bände langsam durchzublättern und nach dem Stichwort zu suchen.
Das erste war ein Buch über die Geschichte des Groß-Orients in Frankreich. Es beschrieb die historischen Hintergründe für das Entstehen der ältesten Logen in Frankreich in der Mitte des 18. Jahrhunderts. Der erste Teil war im Grunde eine qualitativ schlechte Reproduktion eines ziemlich alten Werks, sodass die Schrift etwas verschwommen und schwer zu lesen war.
Der zweite Teil, der die Zeit von 1918 bis 1965 umfasste, war in modernerer Schrift gedruckt, und folglich einfacher zu überfliegen. Auch wenn ich noch so eifrig suchte, ich fand zunächst einmal keine Anspielung auf den Stein von Iorden. Das Buch war ziemlich dick, und ich war mir nicht sicher, ob ich es erfolgreich Seite für Seite durchblättern konnte. Ich beschloss, es für den Moment zur Seite zu legen und einen Blick in das zweite Werk zu werfen, das etwas dünner war. Es handelte sich um eine Zeitschrift, eine Sammlung verschiedener
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