Das Jesusfragment
nein, kein Problem, solange sich deine Gefährtin zu benehmen weiß.«
»Bist du sicher? Ist es kein Problem, wenn wir dort auftauchen?«, fügte ich hinzu.
»Nein. Im Übrigen ist die Bibliothek die meiste Zeit der Öffentlichkeit zugänglich.«
»Ach, die meiste Zeit?«, bemerkte Sophie voller Ironie.
»Darf ich servieren?«, fragte Estelle und brachte die Vorspeise. Wir begannen in aller Ruhe zu essen und genossen diese kurze Atempause und die familiäre Atmosphäre des Hauses Chevalier. François versuchte, sich nicht von Sophie provozieren zu lassen, die sich einfach zu gern über die Freimaurer lustig machte, aber das Ganze blieb doch harmlos.
Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich die beiden Personen um mich hatte, die ich am meisten auf der Welt liebte. Sophie und François. Und es war auch nicht verwunderlich, dass sie sich stritten wie die kleinen Kinder.
Plötzlich wandte Sophie sich an mich und sagte:
»Damien, du solltest François vielleicht über den Uhrmacher informieren.«
Ich machte große Augen. »Ach, wir duzen uns jetzt?«, konnte ich mir nicht verkneifen zu bemerken.
Sophie erstarrte. Sie warf einen Blick in die Runde, dann zuckte sie die Schultern und lächelte mich an.
»Aber ja, wir duzen uns.«
»Na gut«, erwiderte ich.
Ich warf François einen Blick zu.
Ja, mein Alter, in London habe ich mit einer Lesbe geschlafen, in die ich rasend verliebt bin und die sich nicht sonderlich viel aus Freimaurern und Pfarrern macht. So ist es nun mal. Versuch nicht, es zu verstehen, ich kapiere es ja selbst kaum.
Natürlich schwieg ich.
»Was hat es also mit diesem Uhrmacher auf sich?«, fragte Chevalier schließlich.
»Ah ja«, sagte ich verwirrt. »In deiner Garage ist doch noch Platz, nicht wahr?«
»Was soll der Blödsinn?«
»Sagen wir mal so, du solltest uns bitte etwas Platz in deiner Garage machen.«
»Wie bitte?«
Ich erklärte François unsere Geschichte im Detail. Er schien nicht sonderlich begeistert zu sein. Daraufhin zeigte ich ihm das Notizheft meines Vaters mit den Skizzen für die Maschine.
»Der Uhrmacher von Gordes hat sich bereit erklärt, herzukommen, um die Maschine von Leonardo da Vinci nachzubauen. Dazu braucht er die Notizen meines Vaters, und die Maschine soll dazu dienen, eine in der Mona Lisa verborgene Botschaft zu entziffern.«
»Allmählich wird es hier ein bisschen eng«, bemerkte Estelle am anderen Ende des Tisches.
Ich biss mir auf die Unterlippe. Arme Estelle! Ich wurde mir bewusst, was wir der armen Frau zumuteten, die mit ihrer Schwangerschaft bereits genug zu tun hatte.
François warf ihr einen fragenden Blick zu. Sie zuckte die Schultern.
»Ach was, wir werden schon noch ein bisschen Platz finden«, seufzte sie und schenkte mir ein Lächeln.
Ich zwinkerte ihr zu. Sie war genauso großzügig wie ihr Mann.
»Ich kann ihm mein Zimmer überlassen«, schlug Claire schüchtern vor.
»Machen Sie sich keine Sorgen«, beruhigte Estelle sie, »wir werden schon einen Platz für ihn finden. François, du kümmerst dich um all diese Dinge, ich bin wirklich erschöpft! Aber ich gebe zu, dass ich sehr neugierig auf diese Maschine bin«, sagte sie begeistert und warf einen Blick auf die Skizzen in dem Heft meines Vaters.
François nickte und wir setzten unser Abendessen fort. Wir versuchten, das Thema zu wechseln, einen Moment lang die Anspannung zu vergessen, aber es gelang uns nicht. Wir wussten alle, dass wir noch nicht am Ziel waren und dass unsere Chancen letztlich sehr gering waren, diesen Wettlauf mit der Zeit zu gewinnen: Unsere Konkurrenten hatten bereits einen großen Vorsprung und sehr viel mehr Mittel zur Verfügung.
Während François den Käse servierte, erzählte uns Claire Borella von ihrem Vater. Von seinen Missionen für Ärzte ohne Grenzen, seinen langen Abwesenheiten, seinen Entdeckungen. Man spürte, dass sie großen Respekt vor ihm hatte. Ich beneidete sie fast darum.
Gegen elf Uhr verabredeten wir uns für den nächsten Morgen und Badji begleitete uns in unser Hotel.
Sophie schlief in ihrem Zimmer, ich in meinem. Vielleicht hätte ich sie einladen sollen, bei mir zu schlafen. Vielleicht hatte sie darauf gewartet, dass ich sie fragen würde.
Aber man lernt nicht in einer einzigen Nacht, mit Frauen zu reden.
*
Am nächsten Morgen holten François und Badji uns vom Hotel ab und wir fuhren in Richtung IX. Arrondissement.
»Keine Nachrichten von eurem Uhrmacher?«, fragte François.
»Im Moment noch nicht. Ich hoffe, dass er bald
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