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Das Jesusfragment

Das Jesusfragment

Titel: Das Jesusfragment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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über zehn Jahre in New York gelebt hatte, obwohl ich alles über Sex und Sexualität geschrieben hatte, wurde mir bei diesem Thema unbehaglich. Vor allem, wenn sich die Vorliebe für das eigene Geschlecht in den Augen einer schönen Frau abzeichnete. Aber warum, um Himmels willen, konnte ich nicht wie ein Erwachsener reagieren? Oder wie ein New Yorker? Einfach cool sein.
    »Bei welchem Sender?«, fragte ich, um von meiner Reaktion auf sie abzulenken.
    »Canal Plus.«
    »Arbeiten Sie für die Nachrichten?«
    »Nein, ich mache Dokumentarsendungen, investigativen Journalismus. Ich arbeite für eine Sendung mit dem Titel 90 Minutes  …«
    »Wirklich originell«, spottete ich. »Das sind die Sixty Minutes von CBS, bloß länger, oder was?«
    »Wenn Sie so wollen. Wir beziehen uns schon auf die amerikanische Ausgabe der Sixty Minutes , machen uns aber ein wenig lustig über den Journalismus à l'américaine.«
    Sie war also Journalistin, ich begann allmählich zu verstehen. »Wenn man einmal vom Gonzo-Journalismus absieht«, erwiderte ich, »über den ich mich köstlich amüsieren kann, und Ausnahmen wie Michael Moore und sein Team, finde ich die amerikanischen Journalisten immer abgeschmackter.«
    »Seit Reagan ist das leider wirklich so«, gab sie zu. »Nun ja, wir haben unsere Sendung trotzdem so genannt – als Hommage an die Sixty Minutes , und vor allem an das, was sie einst waren.«
    »Ich verstehe.«
    »So eine Art von Sendung fehlte hier.«
    »Haben Sie sich auf irgendetwas spezialisiert?«
    »Seit Beginn meiner Laufbahn habe ich über den Mittleren und den Nahen Osten berichtet und ich interessiere mich immer mehr für Religionen. Im Fernsehen wurde ich bekannt durch eine Sendung über die Geiseln im Libanon … Vielleicht erinnern Sie sich?«
    Mich erinnern. Seit meiner Rückkehr nach Frankreich tat ich nichts anderes. Ich erinnerte mich an meinen Vater, an meine Mutter, an mein Land. Wie an einen alten Film, bei dem einem der Name des Regisseurs kaum noch einfällt.
    »Ja, ja ich erinnere mich, was man jeden Abend um zwanzig Uhr serviert bekam: 150 Tage Geiselhaft für Jean-Paul Kaufmann, Marcel Fontaine und blablabla … Sie müssen noch sehr jung gewesen sein!«
    Sie lächelte.
    »Das war 1988, ich war neunzehn Jahre alt. Mit siebzehn hatte ich mein Abitur gemacht. Und nach gerade zwei Jahren Grundstudium ein Diplom in Geschichte abgelegt, da beschloss ich, die erfahrene Journalistin zu spielen. Ich war etwas unbedarft, aber hoch motiviert und bekam meine Viertelstunde Ruhm, nachdem ich die anderen Reporter ausgespielt hatte. Danach habe ich viel aus dem Irak, Iran, Israel und Jordanien berichtet. Und nachdem ich mehrere Male in Jerusalem gewesen bin, begann ich mich für Religionsgeschichte zu interessieren und habe zwei Dokumentarfilme über den Vatikan gedreht … Jedenfalls, um auf unser Thema zurückzukommen: Vor einem Jahr hat Ihr Vater Kontakt zu mir aufgenommen, um mit mir über eine ungewöhnliche Entdeckung zu reden, die er gemacht hatte.«
    Sie zog eine Schachtel Zigaretten aus ihrer Hosentasche, entfernte behutsam das Zellophan, und fuhr dabei fort: »Im Laufe eines Jahres hat er sich mehrere Male mit mir getroffen. Ich habe ihn nicht wirklich ernst genommen, aber ich habe auch nicht die Angewohnheit, die Leute vor den Kopf zu stoßen, wenn sie sich an mich wenden. Er hat mir seltsame Fragen über Religion und über die Araber gestellt, und er sagte, er hätte eine Enthüllung zu machen, aber dass es noch zu früh sei. Irgendwie fand ich ihn sympathisch.«
    »Sympathisch?«
    »Ja, so taktvoll.«
    »Natürlich!«, seufzte ich und verdrehte die Augen.
    Die Journalistin schien meine Gereiztheit amüsant zu finden. »Dann hat er mir eines Tages die Exklusivrechte an seiner Enthüllung versprochen, wenn ich ihm bei seinen Nachforschungen helfen würde, und vor zehn Tagen hat er es geschafft, mich zu überzeugen, nach Gordes zu kommen. Aber bevor er mir sagen konnte, worum es sich wirklich handelt, ist alles schief gelaufen.«
    Ich runzelte die Stirn. Sie ließ sich nicht beirren und fuhr fort: »Ich war gerade im Begriff, nach Paris zurückzukehren, als ich erfuhr, dass Sie hierher kommen würden. Ich bin zum Haus Ihres Vaters gefahren, um Ihnen zu sagen, dass es vielleicht nicht ratsam wäre, dort zu wohnen, aber offensichtlich bin ich zu spät gekommen.«
    Eine Weile musterten wir uns schweigend. Ich versuchte zu verstehen, was sie mir soeben gesagt hatte, und sie wartete darauf, dass es in

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