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Das Jesusfragment

Das Jesusfragment

Titel: Das Jesusfragment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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in ihrem kleinen Haus unterhalb des Dorfes angekommen, und ich lag in einem Zimmer, das wie eine Puppenstube aussah.
    In dem kitschigen Zimmer mit den hässlichen Bildern und geschmacklosen Nippesfiguren stapelten sich zwei Koffer auf einem Sofa und auf einem Beistelltisch stand ein Tablett mit einer Teekanne.
    Die junge Frau erschien und begann meine Stirn mit einem alkoholgetränkten Wattebausch abzutupfen. Ich biss die Zähne zusammen, als die Flüssigkeit in meiner Wunde brannte, die sie anschließend behutsam verband. Wie hypnotisiert von ihrem Blick leistete ich keinen Widerstand. Ihre kleine goldene Brille verlieh ihren schwarzen Augen einen einmaligen Schimmer.
    »Sie sind gefallen und haben sich an der Mauer gestoßen«, erklärte sie, trat an einen kleinen Tisch und füllte ein Glas mit Wasser. »Sie haben sich etwas verletzt, aber es ist nur eine Schürfwunde.«
    Sie reichte mir das Glas und eine Tablette.
    »Das sollte den Schmerz ein wenig lindern.«
    Ich bin eine Freundin Ihres Vaters, hatte sie gesagt. War sie vielleicht seine Geliebte gewesen? War mein Vater ihretwegen hierher gezogen? Ich konnte es mir kaum vorstellen. Sie war viel zu jung für ihn und zweifellos viel zu sehr wie Uma Thurman.
    Ich schluckte das Aspirin. Dieses Mädchen war mir ein Rätsel.
    »Haben Sie die Polizei gerufen?«, erkundigte ich mich und versuchte, so leise wie möglich zu sprechen, um nicht erneut die rasenden Kopfschmerzen erdulden zu müssen.
    Sie zögerte, bevor sie antwortete.
    »Noch nicht. Wir können sie jederzeit benachrichtigen, wenn Sie wollen, aber davor müssen wir miteinander reden … Doch zunächst sollten Sie sich noch etwas ausruhen.«
    Die Lage wurde immer surrealer. Ich griff nach dem Kopfkissen hinter mir und richtete mich mühsam im Bett auf.
    »Nein, nein. Ich begreife nichts mehr. Warum haben Sie mich hierher gebracht? Und was ist mit dem Haus meines Vaters? Diese Typen könnten wiederkommen!«
    Sie nahm mein leeres Glas und kehrte zum Tisch zurück.
    »Wollen Sie Tee?«, fragte sie und schenkte sich eine Tasse ein.
    »Was soll ich hier bei Ihnen?«, wiederholte ich ungeduldig. Sie führte die dampfende Tasse an die Lippen und trank einen Schluck.
    »Ich glaube, im Augenblick wäre es nicht ratsam, dass Sie im Haus Ihres Vaters bleiben. Hier sind Sie besser aufgehoben.«
    »Nicht ratsam, im Haus meines Vaters zu bleiben?«
    »Glauben Sie, dass die beiden Männer, die Sie niedergeschlagen haben, zufällig dort waren?«
    Ich schüttelte fassungslos den Kopf.
    »Aber warum rufen wir dann nicht sofort die Polizei?«
    »Weil Sie, mein Guter, nachdem ich Ihnen alles gesagt habe, was es zu sagen gibt, vielleicht keine Lust mehr haben, die Polizei zu rufen …«
    Mein Guter? Was sollte dieser herablassende Ton? Kein Wunder, dass sie mit meinem Vater befreundet gewesen war. »Was haben Sie mir denn zu sagen, meine Gute?«
    Sie verzog amüsiert das Gesicht.
    »Erzählen Sie mir zuerst, was Sie bei Ihrem Vater gesehen haben«, bat sie mich mit ruhiger Stimme, als wolle sie unserer Unterhaltung jegliche Schärfe nehmen.
    Ich seufzte. Dieser Albtraum hatte mit meinem Gang in den Keller begonnen und schien nicht aufhören zu wollen. Die Gelassenheit und das Charisma der jungen Frau waren mir unheimlich, und ich verstand absolut nicht, was mit mir geschah. Sie schien alle Fäden in der Hand zu halten, und wusste vermutlich sehr viel mehr als ich. Es war klar, dass ich keine Informationen von ihr bekommen würde, wenn ich nicht selbst Auskunft gäbe.
    »Stapel von Büchern, Notizen, Papiere. Ein riesiges Chaos. Was wissen Sie darüber und woher kennen Sie meinen Vater?«
    Sie stellte die leere Tasse auf den Beistelltisch und nahm mir gegenüber in einem Samtsessel Platz. Mit einer eleganten Geste schlug sie die Beine übereinander und stützte ihre Arme auf die beiden Lehnen, was zwar sinnlich, aber auch aufgesetzt wirkte. Als ob sie ein Spiel spielte, dessen Regeln ich nicht kannte.
    »Einverstanden. Meine Version der Geschichte«, sagte sie. »Ich bin Fernsehjournalistin.«
    Und plötzlich dämmerte es mir: Je länger ich sie betrachtete, ihre Gewandtheit, ihre Haltung, die spöttische Selbstsicherheit in ihrem Blick, desto sicherer war ich mir, dass sie eine Frau sein musste, die sich zu Frauen hingezogen fühlt. Um es einfach zu sagen: irgendetwas an ihrer Haltung verlieh ihr die Ausstrahlung einer Lesbe. Oder vielleicht war es nur die Vorstellung, die sich Trottel wie ich von einer Lesbe machen.
    Obwohl ich

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