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Das Jesusfragment

Das Jesusfragment

Titel: Das Jesusfragment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
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Einbrecher? Leute, die wussten, dass mein Vater tot war und dass das Haus demzufolge unbewohnt sein musste? Aber in diesem Fall hätten sie sich über die geöffnete Tür wundern müssen. Ich versuchte mir einzureden, dass meine Angst unbegründet war, und ballte die Fäuste, um genug Mut zu haben und die Treppe hinaufzugehen.
    Ich trat auf die erste Stufe zu. Die Geräusche über mir verstummten. Ich atmete tief durch, machte einen zweiten Schritt. Das Blut brodelte in meinen Adern. Ich biss die Zähne so fest zusammen, dass mir der Kiefer weh tat. Dann versuchte ich, mich ein wenig zu entspannen, als eine der beiden Gestalten oberhalb der Treppe erschien. Ich trat einen Schritt zurück und hielt den Atem an. Vorsichtig ging der Unbekannte auf den Keller zu.
    Die Vorstellung, dass man mich selbst für einen Einbrecher halten könnte, ließ mich reagieren. Ich hatte keine Zeit nachzudenken. Mein Instinkt siegte.
    »Wer ist da?«, rief ich mit der tiefsten Stimme, die ich hervorbringen konnte.
    Die Gestalt verharrte auf der Stelle, dann eilten die beiden Männer zum Ausgang des Hauses.
    Ohne nachzudenken lief ich, zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinauf, um sie zu erwischen.
    Als ich im Vestibül angelangt war, hörte ich, wie Schritte auf dem Kies knirschten. Ich rannte hinterher. Endlich konnte ich die beiden sehen. Sie waren alles andere als gewöhnliche Einbrecher. Ein paar Meter vor dem Haus parkte eine große schwarze Limousine. Die beiden Männer liefen jeweils zu einer Seite des Autos und öffneten die Türen.
    Ich rutschte auf dem Kies aus, wäre um ein Haar hingefallen, konnte mich aber wieder fangen, und beschleunigte meine Schritte. Als ich die Straße erreichte, wurde der Motor angelassen. Ich stürzte zur Beifahrertür des Autos und klammerte mich an den Türgriff, in der unsinnigen Hoffnung, die Gesichter der Männer zu sehen oder sie vielleicht aufhalten zu können. Plötzlich setzte sich der Wagen mit quietschenden Reifen in Bewegung. In diesem Augenblick versetzte mir jemand einen heftigen Faustschlag, der aus dem Nichts zu kommen schien, und ich verlor mitten auf der Straße das Bewusstsein.
    *
    Als ich benommen wieder zu mir kam, hatte ich keine Ahnung, wie lange ich bewusstlos gewesen war. Dann erkannte ich allmählich die Gestalt einer Frau, die sich über mich beugte.
    In meinem Kopf überschlugen sich die Fragen, Blut tropfte von meiner Stirn und das Sprechen fiel mir schwer. Die Straße drehte sich immer noch wie ein Karussell um mich.
    Die Frau, die mich betrachtete, war vielleicht um die dreißig, mit einer ungewöhnlich blassen Haut und feinen Gesichtszügen, die wie gemalt wirkten. Sie trug ihr schwarzes, glattes Haar exakt bis auf Schulterlänge, und in ihren schwarzen Augen hinter der schmalen vergoldeten Brille lag ein beruhigender Ausdruck von Reinheit. Sie wirkte wie eine seltsame Mischung aus Unschuldslamm und Femme fatale. Modern und konservativ zugleich. Sie war schlank, groß, und trug kaum Make-up, was ihr das Aussehen einer Wachspuppe verlieh.
    Vom ersten Augenblick an faszinierte mich ihre verstörende, beinahe amüsante Ähnlichkeit mit Mia Wallace aus Pulp Fiction, die von Uma Thurman gespielt wurde: kalt, in sich gekehrt und trotzdem ungeheuer sinnlich.
    Sie lächelte.
    »Wer sind Sie?«, brachte ich schließlich hervor und bedauerte sofort, dass ich gesprochen hatte, da meine Kopfschmerzen unerträglich wurden.
    Die junge Frau legte einen Finger auf meine Lippen.
    »Eine Freundin Ihres Vaters.«
    Eine Freundin meines Vaters? Mein Vater hatte Freunde? In Gordes?
    »Versuchen Sie aufzustehen, ich bringe Sie zu mir nach Hause. Sie sollten hier lieber nicht länger liegen bleiben.«
    Ich hatte nicht die Kraft zu protestieren und ließ mir von ihr auf die Beine helfen. Sie brachte mich zu ihrem Wagen, einem schwarzen Audi A3, der mitten auf der Straße stand. Ich setzte mich auf den Beifahrersitz, und sie bat mich um die Schlüssel, damit sie das Haus meines Vaters abschließen konnte.
    Als sie zurückkam, brachte sie meinen Rucksack und den Laptop mit, verstaute beides auf dem Rücksitz und schwang sich hinter das Steuer.
    »Wir sollten das Haus nicht unbewacht zurücklassen«, brummelte ich.
    »Machen Sie sich keine Sorgen, ich habe alles abgeschlossen. Wenn Sie sich erholt haben, kommen wir wieder her.«
    Bevor ich mich entscheiden konnte, ob ich dieser Unbekannten vertraute, hatte unser Wagen Gordes bereits hinter sich gelassen. Nur wenige Minuten später waren wir

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