Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Jesusfragment

Das Jesusfragment

Titel: Das Jesusfragment Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Henri Loevenbruck
Vom Netzwerk:
schenkte Sophie einen kleinen Schluck ein, damit sie ihn probieren konnte. Sophie hielt das Weinglas mit der rechten Hand auf Augenhöhe, schwenkte die sirupartige Flüssigkeit im Kreis, ließ den goldfarbenen Wein an der durchsichtigen Glaswand entlanglaufen und betrachtete die großen Tropfen des samtigen Weines. Dann hielt sie die Nase an das Glas, atmete tief ein, bevor sie endlich einen kleinen Schluck trank. Einen Augenblick lang behielt sie den Wein im Mund und öffnete leicht die Lippen, bevor sie ihn hinunterschluckte und mit deutlicher Miene bekundete, dass sie ihn köstlich fand.
    Ich lächelte den Weinkellner an, als er unsere beiden Gläser füllte.
    »Auf Ihr Wohl!«, sagte Sophie.
    Wir stießen an, und nachdem man uns die Entenleber serviert hatte, fuhr Sophie mit ihrer Geschichte fort.
    »Ich konnte feststellen, dass mehrere Geschichtsbücher tatsächlich – ohne jedoch den Stein von Iorden konkret zu nennen – christliche Reliquien erwähnen, die Karl der Große von Harun al-Rashid als Geschenk erhalten haben soll. Ich versuchte also, davon ausgehend, die Geschichte zurückzuverfolgen.«
    Ich zuckte die Schultern.
    »Tut mir Leid, aber Sie müssen mir auf die Sprünge helfen. Ich weiß nicht einmal, wer Harun al-machin ist.«
    Sophie musste unwillkürlich lächeln.
    »Al-Rashid. Lassen Sie mich der Reihe nach erzählen«, schlug sie vor. »Wir müssen bei Mohammed anfangen. Sie wissen, dass er die Geschichte der arabischen Welt tief greifend verändert hat.«
    »Natürlich.«
    »Zu Beginn des siebten Jahrhunderts hatte Mohammed eine Offenbarung, eine Erleuchtung. Überzeugt von der Existenz eines einzigen Gottes und dem bevorstehenden Jüngsten Gericht gerät er mit der polytheistischen Religion Mekkas in Konflikt. Man muss wissen, dass Mohammed die Tochter eines reichen Kaufmanns geheiratet hatte und dass er bei seiner Tätigkeit als Kaufmann Juden und Christen gleichermaßen kennen lernen konnte, was insbesondere sein Wissen um die Heilige Schrift erklärt und vielleicht sogar seine Vorliebe für den Monotheismus. Genau wie Jesus, dessen Stärke darin bestand, in der Sprache des Volkes zu reden, machte Mohammed seine Vorhersagen in Arabisch und sprach damit vor allem das Volk und die Armen an. Er hatte einen solchen Zulauf, dass er – wieder wie Jesus – zu stören beginnt. Er wurde verfolgt, bis man ihn in Medina, einer Nachbarstadt und Konkurrentin von Mekka, aufnimmt. In Medina lebten jüdische Stämme, Flüchtlinge aus Judäa und arabische Stämme zusammen.«
    »Ich habe das Gefühl, wieder auf der Schulbank zu sitzen.«
    »Warten Sie, gleich werden Sie verstehen, worauf ich hinaus will. Nach und nach schlossen sich Medinas Bewohner Mohammed an, sodass er im Jahre 622 offiziell als Bürger der Stadt anerkannt wurde. 622 gilt übrigens traditionsgemäß als Beginn der neuen Ära des Islam. Mohammeds Stärke bestand darin, ein religiöses und zugleich politisches System eingeführt zu haben, das keinen Bruch mit den lokalen Traditionen bedeutete. Zur damaligen Zeit lebten die Araber in Stammesverbänden, und den Stämmen stand ein Führer, der Scheich, vor. Mohammed hält sich an dieses Schema, wird selbst ein Scheich, mit dem Unterschied, dass ihm seine Macht von Gott verliehen wurde. Damit verstärkt er seine Opposition gegenüber dem Stamm der Quraish in Mekka, bis 630 Mohammeds Anhänger die Stadt einnehmen und die Quraish zwingen, sich dem vom Propheten geschaffenen System unterzuordnen. Mohammed stirbt zwei Jahre später, aber der Islam war geboren, und sein unglaublicher Siegeszug begann. Ist Ihre Erinnerung jetzt etwas aufgefrischt?«
    »Ganz bestimmt«, log ich.
    »Man muss wissen, dass der Nahe und der Mittlere Osten damals zwischen zwei rivalisierenden Reichen aufgeteilt war: zwischen Byzanz und dem Persien der Sassaniden.«
    »Da sind Sie ja ganz in Ihrem Element!«
    »Ja, im Augenblick schon! Aber ich fürchte, dass die Recherchen, die ich noch machen muss, mich noch ziemlich weit von meinem Lieblingsgebiet wegführen werden. Wie dem auch sei, wenn Sie erlauben, erzähle ich weiter.«
    Sie trank einen Schluck und fuhr dann fort:
    »628 fanden die letzten zwei Kriege zwischen den beiden Reichen statt. Auch wenn Byzanz als Sieger daraus hervorgeht, sind die beiden Rivalen völlig geschwächt, sodass eine Lücke entsteht, die die Muslime bald füllen. Abu Bakr, der Schwiegervater von Mohammed, macht sich zu dessen Nachfolger. Er wird Kalif genannt, was Abgesandter des Propheten

Weitere Kostenlose Bücher