Das Jesusfragment
Ich wusste, dass sie sich mit Weinen viel besser auskannte als ich. Zum Teufel mit der Tradition, die verlangt, dass der Mann die Getränke zu wählen hat! Ich zog es vor, als ignorant zu gelten und dafür guten Wein zu trinken.
»Dann nehmen wir also einen Château Climens«, beschloss Sophie.
»Einen Neunziger?«, schlug der Weinkellner vor.
»Sehr gut. Es ist aber schwierig, für den Hauptgang einen Wein zu finden, der sowohl zu Lammrippchen als auch zu dem Hasen passt.«
»Sophie, ich bin Ihnen keine Hilfe, ich verlasse mich ganz auf Sie«, warf ich ein.
»Ein Pauillac könnte passen«, schlug sie vor und sah mich an. »Auf jeden Fall gibt es zum Lamm keinen besseren Wein.«
Ich stimmte ihr vergnügt zu.
»Wir nehmen also Ihren Pichon-Longueville.«
»Davon haben wir ebenfalls einen Neunziger«, erwiderte der junge Mann lächelnd, »ein ausgezeichneter Jahrgang.«
»Wunderbar.«
Er nahm die Karte wieder an sich und verschwand in der Küche.
Als sich Sophie mir zuwandte, lachte ich laut auf.
»Was ist los?«
»Nichts«, erwiderte ich und zuckte mit den Schultern. »Sie bringen mich einfach zum Lachen.«
»Weil ich den Wein gewählt habe?«
»Ich weiß nicht. Einfach so.«
»Na, schönen Dank!«
Ich glaube, es war das erste Mal, dass ich sie gekränkt erlebte. Ich weiß nicht warum, aber ich sagte mir, dass das ein gutes Zeichen sei.
»Wo haben Sie so viel über Weine gelernt?«, fragte ich besonders liebenswürdig.
»Ich bin keine Weinkennerin! Mein Vater besaß einen gut sortierten Keller, und ich half ihm, Buch über seine Weine zu führen. Bereits mit fünfzehn oder sechzehn lernte ich verschiedene Weinsorten zu unterscheiden.«
»Da hatten Sie Glück.«
»Ja. Wenn man sich ein bisschen auskennt, hat man den Vorteil, sehr gute Weine zu einem vernünftigen Preis zu bekommen, während ein Nichtkenner gezwungen ist, die teuersten Weine für die besten zu halten.«
»Wie einen Pauillac zum Beispiel?«, spottete ich.
»Das stimmt. Aber im Restaurant ist das etwas anders.«
»Ja, und außerdem zahle ich ja die Rechnung!«
Wir fingen beide an zu lachen, obwohl es gar nicht lustig war, aber unsere Nerven waren seit mehreren Tagen harten Zerreißproben ausgesetzt und lagen blank.
»Wenn Sie sich genug über mich lustig gemacht haben«, fuhr sie fort und zündete sich eine Zigarette an, »brauchen Sie mir nur noch zu erzählen, was Sie Neues in unserer Angelegenheit herausgefunden haben.«
»Da ich die Telefonnummer von Borellas Tochter nicht bekommen konnte, bin ich einer anderen Spur gefolgt. Ich habe den Priester in Gordes angerufen.«
»Gute Idee. Und dann?«
»Er war dabei, seine Koffer zu packen. Er ist nach Rom versetzt worden, seinen Worten nach auf ein Abstellgleis.«
»Na so was! Besteht Ihrer Meinung nach ein Bezug zu uns?«
»Diese Aktion geht bestimmt von Acta Fidei aus, nicht wahr? Das erscheint mir einleuchtend.«
»Vermutlich.«
»Jedenfalls ist er keineswegs glücklich darüber. Aber die gute Nachricht ist, dass er bereit ist, nach Paris zu kommen, damit wir miteinander reden können. Ich werde ihm erzählen, was wir über Acta Fidei wissen, und ich denke, er kann mir einiges über meinen Vater sagen. Ich habe ihm meine Telefonnummer gegeben.«
»Sie sind wohl verrückt geworden!«, rief sie entsetzt.
»Nein. Ich weiß nicht warum, aber ich halte ihn für vertrauenswürdig, trotz allem.«
»Ich hoffe, dass er Sie nicht aufs Kreuz legt. Mal abgesehen davon, dass sein Telefon vermutlich abgehört wird.«
»Stimmt«, räumte ich ein. »Das war vielleicht nicht sehr klug von mir. Aber mir fiel nichts anderes ein, um ihn zu einem Gespräch zu bewegen. Immerhin habe ich ihm nicht die Adresse unseres Hotels gegeben!«
Sophie verzog ungläubig den Mund.
»Und Sie«, fragte ich, »sind Sie gut vorangekommen?«
»Kann man sagen«, erwiderte sie mit einem Anflug von Stolz in der Stimme.
»Ich höre.«
Sophie atmete tief durch und legte die Hände auf den Tisch. »Wo soll ich anfangen? Alles ist etwas verworren. Ich habe mehrere Spuren gleichzeitig.«
»Ich werde versuchen, Ihnen zu folgen«, versprach ich.
In diesem Moment nahm ein Paar an dem Tisch hinter uns Platz, und Sophie senkte ein wenig die Stimme.
»Also in groben Zügen Folgendes: Wenn wir die Grundidee Dürers und Ihres Vaters akzeptieren, nehmen wir das Vorhandensein einer verschlüsselten Botschaft Jesu an. Verschlüsselt bedeutet zugleich Schlüssel. Es gibt also zwei Elemente. Einerseits eine
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