Das Jesusfragment
die Sicherheit zu überwachen, wenn er Kolloquien oder dergleichen organisiert. Eigentlich braucht er mich nicht wirklich, aber wir verstehen uns gut. Und dann verbindet uns noch etwas.«
»Ach, ich verstehe«, erwiderte ich, »Sie sind ebenfalls bei den Freimaurern.«
Er fing an zu lachen.
»Nein! Überhaupt nicht! Ich weiß wohl, dass viele Schwarze in der Freimaurerloge sind, aber ich nicht!«
»Entschuldigung«, sagte ich schnell, »was ist es dann?«
»Boxen.«
»Wie bitte? François boxt?«, rief ich erstaunt.
Er brach erneut in schallendes Gelächter aus. Sein Lachen war ungewöhnlich, dunkel und tief und sehr ansteckend.
»Nein«, erklärte er. »Wir schauen uns gemeinsam die Kämpfe an, wir sind beide große Boxfreunde. Mögen Sie diesen Sport?«
»Überhaupt nicht«, gestand ich. »Das ist mir ein bisschen zu brutal. Ich wusste gar nicht, dass François Boxen mag!«
»Haben Sie eine Ahnung! Wir verpassen keinen Kampf! Wenn einer in der Pariser Gegend veranstaltet wird, gehen wir hin, und wenn nicht, verfolgen wir die WBC, die WBA und alle sonstigen Meisterschaftskämpfe im Fernsehen, bei ihm auf 16 : 9 Breitbild Kinoformat! Das macht Madame Chevalier jedes Mal ganz verrückt!«
»Das kann ich mir gut vorstellen! Haben Sie selbst auch geboxt?«
Er runzelte die Stirn.
»Sagen Sie das, weil ich eine Boxernase habe?«
Er fing wieder an zu lachen. Badji wurde mir immer sympathischer.
»Nein«, erwiderte er. »Ich habe viel Kampfsport betrieben, aber kein Boxen. Auf jeden Fall nicht ernsthaft.«
Ich nickte und verstand jetzt, weshalb François ihn gern haben musste.
Er wirkte kompetent, aufrichtig und schien sich selbst nicht allzu ernst zu nehmen. Eine Eigenschaft, die in seinem Beruf bestimmt selten vorkam. Badji machte gern Späße, doch etwas sagte mir, dass ihn das nicht daran hinderte, durch und durch professionell zu handeln.
»Wie sind Sie Bodyguard geworden?«, fragte ich, als wir von der Ringautobahn abbogen.
»O je! Das ist eine lange Geschichte!«
»Ich liebe lange Geschichten.«
»Dann bekommen Sie den director's cut . Mit fünfzehn bin ich nach Frankreich gekommen«, fing er an.
»Woher?«
»Aus dem Senegal. Ich habe nur mit Mühe zwei Jahre Schule geschafft, dann bin ich nicht mehr mitgekommen. Aber nicht nur in dem Bereich, sondern auch ganz einfach im Alltag. Ich versichere Ihnen, wenn Sie immer nur in Afrika gelebt haben und dann plötzlich nach Paris kommen, ist das ein heiliger Schock. Ich war sehr unglücklich hier. Ich mochte die Leute nicht, ich mochte die Mädchen nicht, ich mochte das Wetter nicht. Ich mochte überhaupt wenig, abgesehen vom Fernsehen vielleicht. Kurzum, nachdem ich mich in der Schule lächerlich gemacht hatte, beging ich die größte Dummheit meines Lebens.«
»Was für eine?«
»Ich ging in die Schule für Marineinfanteristen in Lorient. Dann wurde ich in das Spezialkommando von Penfentenyo eingegliedert.«
»Das sagt mir nicht viel«, gestand ich.
»Damit Sie sich eine Vorstellung machen können: Meine Kompanie war spezialisiert auf territoriale Aufklärung und taktische Überwachung. Unsere tägliche Arbeit bestand darin, Informationen zu sammeln, feindliche Linien zu unterwandern und umgehen und derlei vergnügliche Dinge.«
»Genial.«
»Sie sagen es. Ich wurde zu einem Spezialisten für den Nahkampf, und das war nicht immer lustig. Ich habe an Operationen teilgenommen, an die ich nicht unbedingt gute Erinnerungen habe.«
»Welcher Art?«
»Einige Missionen im Libanon zwischen 1983 und 1986, dann Mururoa, die Komoren, der Golf. In Somalia habe ich an der Evakuierung ausländischer Staatsangehöriger teilgenommen.«
Ich staunte nicht schlecht.
»Na ja«, fuhr er lächelnd fort, »nicht nur schöne Erinnerungen! Ich blieb dabei, bis ich neunundzwanzig war. Es gefiel mir immer weniger, und je älter ich wurde, umso mehr bedauerte ich, dass ich nicht studiert hatte. Das klingt verrückt, aber ich begann zu begreifen, dass ich irgendetwas verpasst hatte. Ich wollte nicht unbedingt Politikwissenschaften studieren, das können Sie mir glauben! Jedenfalls, als ich neunundzwanzig war und von einem Einsatz in Bosnien zurückkam, beschloss ich, meine Uniform abzugeben. Ich habe überlegt, und nach allem, was die Armee mich gelehrt hatte, dachte ich, es wäre das Beste, mich auf Verfassungsschutz oder Sicherheitsdienst zu spezialisieren. Und am Ende beschloss ich, Jura zu studieren.«
»Tatsächlich?«
»Schwer zu glauben, was? Ein großer
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