Das Joshua Gen (German Edition)
er im Vorraum der Kirche. Die Kerzen erinnerten ihn an die vielen Leuchtkäfer in Vietnam. Eine nach der anderen drückte er die Flammen aus. Dann wusch er sich im Weihwasserbecken den Ruß von den Fingern seiner Handschuhe.
Die Stimmen kamen vom anderen Ende der Kirche. Niemand war dort zu sehen, nur ein heller Lichtschein aus einer angelehnten Tür rechts vom Altar.
Der Mann mit den Handschuhen machte sich auf den Weg, um den Stimmen zu lauschen.
Der Pater hatte Vince und Nona in seine Räumlichkeiten geführt. Die Wohnung lag im Seitenschiff der Kirche. Sie war klein und karg eingerichtet, aber mit Küche und Bad. Er hatte ihnen den alten Sicherungskasten an der Kellertreppe gezeigt, und Vince hatte zwei lose Kabel festgeschraubt. Nun brannte das Licht wieder.
»Nehmt Platz, nehmt Platz!« Pater Simon scheuchte sie auf die Holzbank in seiner kleinen Küche. »Machen wir es uns gemütlich bei Tee und Butterkeksen. Keine Widerrede!« Er lachte und füllte den Wasserkocher, dann widmete er sich der wiedergefundenen Brille, putzte sie gründlich, setzte sie auf und lächelte.
»Eine hübsche junge Frau bist du geworden, Dorothy.«
»So heiße ich schon lange nicht mehr ...«
Der Pater ging nicht darauf ein. Er nahm die Teekanne vom Regal und eine Dose mit schwarzem Tee. Konzentriert füllte er das Sieb in der Kanne mit vier gestrichenen Löffeln. Das Wasser im Kocher war noch nicht so weit. Er griff sich Tassen und den großen Teller voll duftendem Gebäck und stellte alles auf den Küchentisch. »Greift zu, die Kekse sind einfach fantastisch!«
»Verfluchter Lügner.«
Sie hatte es so ruhig gesagt als sei es selbstverständlich.
»Nein, nein, die Kekse sind wirklich gut. Schwester Rosaria backt die allerbesten, das weißt du doch.«
»Ich rede nicht von Keksen, sondern von einem Sterbenden in einer Klinik. Sie kannten ihn, Pater! Sie wussten, dass er mein Vater war! Doch Sie schrieben nur eine Zimmernummer auf einen schäbigen Zettel ...«
Der Priester seufzte. Er setzte sich zu ihnen. »Ich hätte früher zu dir gehen müssen. Ja, ich hätte mit dir reden müssen. Aber dein Vater nahm mir das Versprechen ab, genau das niemals zu tun. Mit dem Zettel an dich brach ich dieses Versprechen. Das war wirklich nicht leicht für mich.«
»Es war nicht leicht? Dann fragen Sie mal, wie leicht es war, an seinem Bett zu stehen! Fragen Sie, wie leicht es war, nach fünfundzwanzig Jahren ohne ihn nur eine Minute mit ihm zu haben! Eine Minute!«
»Konntet ihr noch reden, bevor ...« Der Pater verstummte.
Sie blickte ihn nur an. So muss sich das Kaninchen vor der Schlange fühlen, dachte Vince und sah den Gottesmann unter Nonas eisigem Blick erstarren.
»Wie oft trafen Sie meinen Vater?!«, rief sie plötzlich. »Wie oft, während ich am Tor des Heimes auf ihn wartete?!« Ihre Stimme brach. »Wissen Sie, wie lange ich dort stand? Mein halbes Leben wartete ich hinter dem Zaun, aber mein Vater kam nicht.«
Pater Simon blickte verzweifelt zu Boden. »Es tut mir leid«, flüsterte er und atmete tief durch.
»Ich schrieb ihm jährlich an ein Postfach. Er wollte alles über deine Entwicklung wissen. Getroffen habe ich ihn nur zweimal. Der Tod deiner Mutter kurz nach deiner Geburt hatte ihn gebrochen. Er wusste nicht weiter. Er hatte Depressionen. So kam er zu mir, bat mich um Hilfe, bat um einen Platz für sein kleines Mädchen ... Und wir nahmen dich hier auf und gaben dir den Namen Dorothy.«
»Nona heiße ich! N–o–n–a! «, schrie sie jeden der Buchstaben einzeln, dann sank sie in sich zusammen, nur noch flüsternd. »Sie schrieben ihm also, und belogen mich.« Ihre Stimme war kaum mehr zu hören. »Sie haben mich mein ganzes Leben lang belogen ...«
»Versteh doch, ich versprach deinem Vater zu schweigen.«
»Sie versprachen zu lügen!«, schluchzte die junge Frau.
Pater Simon redete weiter. »Das zweite Mal, dass er mich um Hilfe bat, ist jetzt vier Wochen her. Er sagte mir nicht, wo er all die Jahre gewesen war. Er war gezeichnet von der Krankheit. Er hatte kein Geld, keine Versicherung, also besorgte ich ihm ein Bett in dieser Klinik.«
Nona sprang auf und lief aus der Küche.
Der Pater blickte ihr nach. »Vor diesem Tag hatte ich immer Angst«, flüsterte er.
Vince erhob sich wütend. »Verdammt, warum mussten Sie ihr auch diesen Zettel schicken?! Warum haben Sie Ihren Mund nicht einfach weiter gehalten?!«
Der Priester sah ihn mit Tränen in den Augen an. »Ich hoffte, wenn sie ihren Vater
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