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Das Joshua Gen (German Edition)

Das Joshua Gen (German Edition)

Titel: Das Joshua Gen (German Edition)
Autoren: Andreas Krusch
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es Vince. Ein vergrößerter Ausschnitt des anderen Fotos, das Gesicht ihres Vaters.
    »War das auch in dem Sekretär?«
    »Nein, ich fand es heute in einer Tasche meines Trenchcoats, nachdem es mir gestern aus meinem Wohnzimmer gestohlen worden war. Ich sagte noch zu Ihnen, eines der Fotos an der Wand fehle, erinnern Sie sich?«
    Vince kam nicht ganz mit. »Es war in Ihrem Mantel?«
    Sie nickte. »Der, der mich nachts in der Kirche attackierte, steckte es hinein.«
    »Der Mann mit den schwarzen Handschuhen ...«
    »Ja, ihm haben Sie das getrocknete Blut an Ihren Schuhen zu verdanken, und ich drei Tote in meiner Wohnung.«
    Vince wollte jetzt nicht daran denken. »Aber warum brachte er das Foto zurück, Nona?«
    »Das hat er uns auf die Rückseite geschrieben. Na los, drehen Sie es um.«
    Es stand quer auf dem Rücken des Fotos. Turin 1978
    »Hm, sagt mir nichts.«
    »Aber mir. Ich wurde zehn Jahre später geboren, Vince! Das Foto beweist, dass Pater Simon lügt, wenn er sagt, er habe meinen Vater erst nach meiner Geburt kennen gelernt – er kannte ihn schon 1978!«
    Er gab ihr das Bild zurück. »Das hier beweist doch gar nichts, Nona. Es ist bloß ein Foto, auf das etwas geschrieben wurde, und kein Grund, in Pater Simons Sachen zu wühlen, während er einen Gottesdienst hält!«
    Sie rollte die Augen und hockte sich wieder vor den Sekretär. »Ja, ich wühle! Und ich finde!« Sie hielt Vince die Zeitungsausschnitte entgegen. »Als Sie noch selig schnarchten, erzählte mir unser Pater, er sammle Artikel für seine Analphabetengruppe. Und er sagte, der Inhalt der Artikel spiele keine Rolle. Wieder eine Lüge! Denn das hier, das sind nicht irgendwelche Zeitungsartikel. Oder glauben Sie, dass ein Analphabet besser lesen lernt, wenn er es mit Texten über verschwundene elfjährige Jungen tut?«
    »Was sagen Sie da?«
    »In den Artikeln, die der Pater ausschneidet, geht es um ein Serienverbrechen an Kindern, Vince!«
    »Langsam, langsam, vielleicht plant er einen Bittgottesdienst für sie und ihre Familien oder er –«
    »Es sind alles adoptierte Kinder, Kinder aus Heimen!«, unterbrach sie laut. »Aus kirchlichen Heimen!«
    Er legte rasch einen Finger auf seine Lippen, doch was er hinter sich gehört hatte, war nur der ferne Singsang des Kirchenchors. »Es gibt sicher eine Erklärung für alles«, flüsterte er, »packen Sie das Zeug jetzt zurück in den Sekretär. Ich weiß nicht, wie lange der Pater noch braucht.«
    »Lange genug für einen Blick in seinen Keller. Kommen Sie mit? Die Treppe ist gleich neben der Küche.«
    »Sie wollen jetzt in diesen Keller?!«
    »Ja. Da hat doch jeder von uns seine Leichen ...«
    Nona zwinkerte Vince zu und machte sich auf den Weg.

    Der Kellergang unter der Kirche verlor sich im Dunkeln. Die schwache Taschenlampe in seiner Hand setzte immer wieder aus. Sie beleuchtete gerade noch den Boden vor ihren Füßen. »Das bringt doch nichts! Lassen Sie uns umkehren, es sind zu viele Türen!«
    Sie ließ sich von seiner Nervosität nicht anstecken. »Ja, sind wirklich viele ...« Sie hatte sieben massive Holztüren gezählt. Und weiter vorn schien noch ein Gang abzugehen.
    »Der Gottesdienst ist gleich vorbei, wir haben keine Zeit, sie alle zu öffnen!«
    »Wir müssen sie auch nicht alle öffnen, Vince. Nur die ohne Staub auf den Klinken. Die, die regelmäßig benutzt werden. Wie diese hier.«
    Er beobachtete, wie Nona ihren skurrilen Schmuck vom Ohrläppchen abzog, ein Stück aus einem Maschendrahtzaun. Sie bog daran herum, steckte das eine Ende in das alte Schloss der Tür und drehte den Draht kurz hin und her. »Et voilà!« Die Tür schwang nach innen auf.
    »Wo haben Sie das gelernt?«
    »Französisch sprechen? Im Heim.«
    »Ich meinte das andere.«
    »Der Pater brachte es mir bei. Und jetzt öffnet es uns seine Türen. Wenn das nicht Ironie ist.«
    »Pater Simon lehrte Sie, Schlösser zu knacken?«
    Nona nickte. »Traurige Geschichte, vielleicht erzähle ich sie Ihnen irgendwann.« Sie suchte etwas in den Taschen ihres Mantels. »Behalten Sie die Taschenlampe und sehen Sie sich in dem Raum hier um. Ich habe ein Feuerzeug. Genug Licht für ein paar alte Türschlösser ...«
    Sie lief den Gang hinunter. Er schaute ihr nach. Schnell war sie aus dem schwachen Licht der Taschenlampe verschwunden. Er wartete. Vor jeder Tür flammte kurz ihr Feuerzeug auf. Dann war wieder Dunkelheit. Hell, dunkel, hell, dunkel, ein unheimliches Signal. Hell, dunkel ... dunkel ... dunkel. Er wartete
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