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Das Joshua Gen (German Edition)

Das Joshua Gen (German Edition)

Titel: Das Joshua Gen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Krusch
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heruntergefallen sein. Die Ratten schnüffelten daran.
    »Du musst es nur aufheben.« Das Kind grinste.
    Stanley kam ihr zuvor und nahm es.
    »Das bin ja ich auf dem Foto«, staunte er. Dann erkannte er Pauline. Und Margaret sah, wie weh es ihm tat.
    »Das da ist Vince«, erklärte sie und tippte auf einen noch sehr jungen Mann, der neben Stanley und seiner Frau saß.
    »Der Pflaumenbaum ... wir machten da ein Picknick, ein Jahr vor ihrem Tod ... ich nahm es mit Selbstauslöser auf.« Stanley Woolrich setzte sich seufzend auf einen alten Reifen. Er wandte seinen Blick nicht von dem Foto. »Warum mussten Sie mich daran erinnern, dass Pauline tot ist ...?«
    »Weil Vince Hilfe braucht, weil er –« Ihr Handy klingelte. Die Ratten starrten sie an. »Entschuldigung ...« Sie zog es aus der Jackentasche. Eine Nachricht von Emilios Arzt. Vince’ Onkel war aus dem Koma erwacht! Margaret fühlte sich berauscht. Erst Stan, nun Emilio – zwei ihrer wichtigsten Zeugen waren wieder da! Jetzt konnte sie Vince retten. »Ich muss weg, aber ich komme bald zurück, Stan. Dann reden wir über Vince. Er braucht uns!«

    Sie war allein in dem Fahrstuhl. Sie wischte den Fleck vom Knie ihrer Jeans. Hoffentlich nicht Rattendreck. Ihre dünne, kurze Jacke roch streng, roch nach der Tiefgarage. Hatte die Schwester vom Empfang es bemerkt? Hatte der Arzt von der Intensivstation nicht seltsam geschaut? Verflucht, auch meine Stiefel sind schmutzig! Sie zog ein Papiertaschentuch hervor, spuckte darauf und wollte sich bücken, da hielt der Lift. Eine junge Krankenschwester lächelte vom Gang herein. »Zweiter Stock. Heute haben wir Wunder im Angebot!« Kurz hielt sie ein Blatt Papier mit einer Zeichnung hoch. Margaret erkannte ein schwarzes Kreuz.
    Sie stieg aus.
    »Wo bitte finde ich denn Mr. Delusso?«, fragte sie nervös.
    »Ganz am Ende.« Die Schwester zeigte nach links. »Ja, so ein Wunder spricht sich schnell herum.« Lachend verschwand sie im Lift.
    Man hatte Emilio von der Intensivstation verlegt. Sie ging den langen Gang hinunter. Mit jedem Meter wurde sie unruhiger. Ein Wunder spricht sich schnell herum . Bis zum Handschuhmann? Sie dachte an Nona, was ihr passiert war, nachdem sie eine Klinik betreten hatte. Ihr Herz klopfte. Werd jetzt nicht paranoid! Ihr Vater war auch im zweiten Stock untergebracht, warnte eine innere Stimme. »Das war in der anderen Klinik«, flüsterte Margaret. Ach ja? Das da auch! »Alles Zufall, alles Zufall ...«, murmelte die Anwältin gegen die Furcht an und sah die Türnummer. 211. Eine Zimmernummer auf einem Zettel, den jemand in aller Frühe vor Nonas Wohnung gelegt hatte. Jemand, der wollte, dass sie hinter diese Tür sah. Jemand, der es vorzog, anonym zu bleiben. 211. Ein Zimmer in einem Krankenhaus in Manhattan. Lange blickte sie auf die drei Ziffern. Dann legte sie ihre zitternde Hand auf die Türklinke und trat ein.
    Ein Gemisch aus Italienisch und Englisch hallte ihr entgegen. Kinder lachten, Frauen diskutierten aufgeregt. Das Krankenzimmer war voller Besucher. Sie konnte kaum das Bett sehen, in dem Vince’ Onkel lag. Ihre Fragen an ihn würde sie wohl heute nicht stellen können.
    »Du musst nicht traurig sein.« Aus dem lautstarken Durcheinander vor ihr löste sich ein kleiner Junge. Er hielt ein großes, bemaltes Blatt Papier in der Hand und lachte in ihre Richtung. Jetzt kam er zu ihr. »Wir haben gebetet, wir haben alle viel gebetet! Und dann ist er aufgewacht!«
    Sie starrte das fremde Kind an.
    »Es ist ein Wunder, Signora!«
    Margaret nickte. Ja, es war wirklich ein Wunder, denn Emilio hatte den Mann mit den Handschuhen überlebt. Nun konnte er davon erzählen.
    »Wie geht es ihm? Spricht er?«
    »Nein, er malt!« Der kleine Junge strahlte. »Er malt immer dasselbe. Wollen Sie eins haben, Signora? Ich hab noch drei davon.« Der Junge drückte es ihr in die Hand und lief zurück in das Zimmer.
    Sie sah ihm nicht nach. Die Zeichnung auf dem Blatt Papier hielt sie gefangen. Ein großes schwarzes Kreuz stand mitten auf einem schwarzen Hügel. Und am Kreuz hing ein Kind.

    Nona blickte die Klippe hinunter. Sie war am Ende Amerikas angekommen, am westlichen Ende. Das Taxi mit Vince und den anderen stand einige hundert Meter entfernt. Man konnte sie streiten hören. Sie ging so lange weiter, bis nur noch Stille war. Das letzte Licht tauchte Himmel und Küste in pastellene Farben. Orangerot versank die Sonne in den Nebeln, die vom Pazifik heranzogen. Ein Kalifornischer Kondor erhob sich aus den

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