Das Jüngste Gericht: Die Wissenschaft der Scheibenwelt 4 (German Edition)
passiert das Gleiche.
Als Nächstes schieben Sie den Stab auf seinem Lager seitlich fort von der gekrümmten Stelle. Das glänzende Metall ist glatt, und der Stab rutscht zurück, bis er wieder im Gleichgewicht ist. Man braucht nicht dafür zu sorgen , dass der Stab balanciert. Er tut es von selbst. Im Gleichgewichtspunkt heben sich die Kräfte, die ihn nach der einen oder anderen Seite ziehen, exakt auf, wie sie es auch tun müssten, um einen geraden Stab im Gleichgewicht zu halten, doch jetzt fällt der Stab nicht mehr herunter, wenn das Gleichgewicht nicht stimmt. Er bewegt sich einfach ein wenig und findet seinen eigenen Gleichgewichtspunkt. Der mathematische Grund dafür ist klar: Der Stab strebt nach einem Zustand minimaler Energie, wo sein Schwerpunkt am tiefsten liegt. Weil der Schwerpunkt eines gekrümmten Stabes unterhalb der Lagerung liegt, bleibt er schließlich in stabiler Position hängen.
Es ist nicht notwendig , das Universum fein abzustimmen.
Das kann es selbst tun.
Das Gedankenexperiment mit »Messers Schneide« ist willkürlich zurechtgeschustert, die Analogie zur Natur falsch. Das Experiment erfordert, dass der Stab gerade ist. So ziemlich jede andere Form würde sich selbst korrigieren. Sogar ein gerader Stab balanciert auf Ihrem Finger. Solange der Finger sich nahe am Mittelpunkt befindet, rutscht der Stab nicht länger herab. Zugegeben, ein Finger kann schweißbedeckt und klebrig sein, und das kann den Stab am Rutschen hindern, aber das ist nicht der Hauptgrund, weshalb der Stab sein Gleichgewicht hält. Wenn sich ein Ende nach oben neigt, rollt der Stab auf dem Finger seitwärts, und die Berührungsstelle entfernt sich vom angehobenen Ende. Das Gewicht des Stabes auf der angehobenen Seite ist nun größer als auf der anderen, also wirken die Kräfte zusammen, um den Stab in die Horizontale zurückzubringen. Wenn er nach der anderen Seite geneigt wird, geschieht dasselbe. Sogar ein gerader Stab findet seinen eigenen Gleichgewichtspunkt, wenn die Unterlage keine messerscharfe Kante ist.
Nicht nur das Gedankenexperiment ist zurechtgeschustert, auch die Metapher ist es. Ein Universum braucht nicht perfekt linear zu sein, und es ruht nicht auf einer unendlich schmalen Linie. Die anthropische, menschenbezogene Mentalität ist unfehlbar auf genau die falsche Metapher gekommen. Sie ignoriert die Neigung des Universums, auf Veränderungen zu reagieren, indem es sein eigenes Verhalten ändert.
Mit der Tripel-Alpha-Reaktion in einem roten Riesenstern verhält es sich ebenso. Eine exakte Übereinstimmung der Energieniveaus ist nicht notwendig. Die Kernenergie von Beryllium plus die von Helium liegt bis auf ein paar Prozent bei einem Energieniveau des Kohlenstoffs – aber nicht genau auf ihm. Und da kommt der Rote Riese ins Spiel. Die Energien sind nur dann im Gleichgewicht, wenn der Stern die richtige Temperatur hat. Und die hat er. Das könnte als weiterer Beweis für die Feinabstimmung erscheinen: Die Astrophysik des Roten Riesen muss die Abweichung der Kernenergieniveaus präzise ausgleichen. Aber der Stern ähnelt in dieser Hinsicht dem gekrümmten Stab. Er besitzt einen nuklearen Thermostaten. Wenn seine Temperatur zu niedrig ist, läuft die Reaktion schneller ab, und der Stern heizt sich auf, bis die Energien gleich sind. Ist die Temperatur zu hoch, wird die Reaktion langsamer, und der Stern kühlt sich ab, bis abermals ein Gleichgewicht erreicht ist. Ebenso sinnvoll wäre es, die wunderbare Präzision zu bewundern, mit der sich ein Holzfeuer auf genau die Temperatur einstellt, bei der Holz brennen kann. Oder zu staunen, dass eine Pfütze genau in das Erdloch passt, in dem sie sich befindet.
Die Analogie mit der Messerschneide beruht auf linearem Denken – darum verwendet sie einen geraden Stab. Aber wir leben in einem nicht linearen Universum, in dem alles, was stabil ist, sich automatisch so abstimmt, dass es funktioniert. Ebendas bedeutet Stabilität.
Natürliche Systeme gleichen Ihrer Hand und keinem Messer. Darum stellt sich der Tripel-Alpha-Prozess so genau ein, und darum sind Ihre Beine genau lang genug, dass sie bis zum Boden reichen. Daher sind auch wir – als durch Evolution entstandene Wesen – so hübsch an das Universum angepasst, das wir bewohnen. Analoge Wesen in unterschiedlichen Universen wären ebenso hervorragend an ihre örtlichen Bedingungen angepasst. Und aus diesem Grund sind die meisten Goldlöckchen-Argumente, Leben anderswo im Universum müsse genauso sein wie
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