Das Jüngste Gericht: Die Wissenschaft der Scheibenwelt 4 (German Edition)
beobachtet zu werden, vielmehr zerfällt es zu einem komplizierten Schauer von Teilchen. Man muss also Ausschau nach der Sorte Schauer halten, die ein Higgs erzeugen würde, und auf die Anwesenheit eines Higgs schließen.
Stellen Sie sich analog dazu ein Piano vor, wie es von Pianologen beobachtet wird: Wesen, die sich sehr gut mit Klang auskennen, aber ein Piano weder sehen noch seine Form erfühlen können. Wie fänden sie heraus, woraus dieses Musikinstrument besteht?
Gestehen wir ihnen die Fähigkeit zu, Gegenstände auf das Piano zu werfen. Wenn sie kleine Steine schleudern, würden sie ab und zu mit einer musikalischen Note belohnt. Wir wissen, dass das geschieht, wenn ein Stein eine Taste trifft, aber die Pianologen würden nur die Musik feststellen. Indem sie Daten sammeln, würden sie ein Spektrum von Noten mit einer hübschen mathematischen Struktur finden. Offensichtlich besteht ein Piano aus Plingonen von verschiedenen Frequenzen. Experimente bei höheren Frequenzen würden ein neues und ziemlich unterschiedliches Pianoteilchen offenbaren: das Knallon. ( Wir wissen, dass man das erhält, indem man den Pianodeckel zuknallt.) Nun ist es komplizierter geworden. Bald erscheint noch das Pianino auf der Liste, gefolgt vom Myano, dem Tauano und allerlei mehr.
Statt alles einfacher zu machen, haben neue Daten bei höheren Energien alles nur verwirrt. Wie also werden die Pianologen versuchen, die zahllosen theoretischen Fragen zu klären? Sie beschaffen sich von der Regierung große Finanzmittel, um Kollisionen von noch höherer Energie zu erzeugen. Dazu ist es erforderlich, einen LHC (Large Hotel Collapser) zu bauen, vierzig Stockwerke hoch, und das Piano im obersten Stockwerk aus dem Fenster zu werfen, wie es die herkömmliche Art durchreisender Rockstars ist. Die Ergebnisse sind beeindruckend, aber schwer zu interpretieren. Sorgfältige Analyse zerlegt den resultierenden Klang in eine Kakofonie von an die hundert Plingonen, mehrere Varianten des Knallons … und ein bisschen, das übrig bleibt. Dieses Stückchen, das man erhält, indem man aus dem Gesamtklang jede bekannte Komponente herausfiltert, ist natürlich das seit Langem gesuchte Große Krachon – welches Journalisten unbedingt das Schrottesteilchen nennen wollen, ein Name, der dem Klang zugeordnet worden ist, wenn ein Piano auf ein hypothetisches Feld trifft … oder vielleicht auf einen Parkplatz.
Was beweist, dass ein Piano Masse besitzt.
Weil die Prozedur, die das neue Teilchen nachweist, derart komplex und fehleranfällig ist, müssen etliche Milliarden Pianos ins Nichts geschickt werden, ehe die Ergebnisse statistisch signifikant werden. Schließlich sind sie es, und die Entdeckung wird publiziert, Monate, nachdem das Experiment in die Schlagzeilen gekommen ist.
Die große Frage hierbei, in der Ian und Jack eher geteilter Meinung sind – wenn auch nicht extrem –, lautet, ob Teilchenphysiker die Natur der Materie in vergleichbarer Weise fehldeuten, wie die Pianologen entschieden außerstande sind, ein Piano zu verstehen. Gegenstände zu zertrümmern, um zu sehen, was passiert, kann sie in die Bestandteile zerlegen, aber es können auch neue Verhaltensweisen hervorgerufen werden, die man nicht sinnvoll als Bestandteile betrachten kann. Finden Teilchenphysiker wirklich heraus, woraus die Materie besteht, oder veranlassen sie sie nur, sich auf immer abwegigere Weise zu verhalten?
Spaß beiseite – denken Sie darüber nach, wie wir selbst Klänge analysieren. Wissenschaftler und Ingenieure zerlegen einen komplexen Klang gern in einfache »Bestandteile«, Sinusschwingungen mit spezifischen Frequenzen. Solche Schwingungen werden von einer mathematischen Sinuskurve beschrieben, dem einfachsten reinen Klang. Diese Technik wird Fourieranalyse genannt, nach Joseph Fourier, der sie 1807 verwendete, um Wärmefluss zu untersuchen. Der von einer Klarinette erzeugte Ton beispielsweise enthält drei hauptsächliche Fourier-Komponenten: eine Schwingung mit der dominanten Frequenz (die Note, nach der der Ton klingt), eine etwas leisere Schwingung mit einer dreimal so hohen Frequenz (die dritte Harmonische) und eine noch leisere mit der fünffachen Frequenz (die fünfte Harmonische). Dieses Muster geht mit den ungeradzahligen Harmonischen weiter, bis die Komponenten eine so hohe Tonlage erreichen, dass das menschliche Ohr sie nicht mehr hören kann.
Der Klang einer Klarinette kann digital synthetisiert werden, indem man alle diese Fourier-Komponenten
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