Das juengste Gericht
die Tür des Dienstzimmers hinter sich zu. In einer Hand hielt er die voll mit Wasser gefüllte Glaskanne. Er ging zur weißen Plastikkaffeemaschine und befüllte das Gerät. Mit der anderen Hand stellte er Schultz den gespülten Boss -Becher auf den Schreibtisch. Schultz schaute ihn an, nickte, paffte ein paar Kringel mit seiner Zigarre und richtete seinen Blick danach wieder auf den Telefonhörer.
»Ich vertrete unseren Abteilungsleiter IX, Herr Schreiner, der für Todesfälle zuständig ist, bei denen Fremdverschulden nicht ausgeschlossen werden kann. Endgültig wird sich die Zuständigkeit bei uns danach richten, wie sich der mutmaßliche Tatverdächtige schreibt. Falls es keinen gibt, hängt es vom Namen des Mädchens ab.«
»Einen Tatverdächtigen kann ich Ihnen noch nicht bieten. Daran arbeiten wir noch. Dafür kann ich Ihnen den Namen des Mädchens nennen.«
Genau das hatte Schultz vergessen Diener zu fragen. Es ärgerte ihn ein wenig, dass er nicht daran gedacht hatte, die Frage der Zuständigkeit vorher mit seinem Kollegen zu klären. »Wenn der Name feststeht, kann ihn mir ebenso gut Herr Diener sagen. Herr Schreiner, ich habe eine Bitte. Die Vorgänge, die Ihre Behörde über die bisherigen Ermittlungen, zum Beispiel zur Spurensicherung, angelegt hat, müssen mit der Akte, die wir hier zu dem Fall haben, zusammengeführt werden. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie mir die Unterlagen möglichst zeitnah persönlich in mein Büro bringen könnten. Ich habe einige wichtige ergänzende Fragen, von denen ich abhängig machen möchte, wie weiter verfahren werden soll.«
»Kein Problem. Wie Sie wissen, tue ich für Sie fast alles. Um bei der Wahrheit zu bleiben. Ich habe morgen ohnedies bei der Justiz eine Besprechung. Wäre 11:00 Uhr okay.? Sie sind ja nie einer der Frühesten.«
»Den letzten Satz habe ich überhört, Herr Schreiner. 11:00 Uhr ist bestens. Bis dahin.«
Schultz legte auf und sah Diener an. »Sag mir bitte, Augustin, wie hieß überhaupt das Mädchen?«
»Beuchert. Sunita Beuchert. Auf diese Frage von dir hatte ich schon vorhin gewartet.«
Schultz ging nicht auf die kleine Spitze ein. »Sunita? Ein ausgefallener Name!«
»Sie ist – vielmehr, sie war indischer Abstammung. Zur Hälfte jedenfalls. Das bedeutet, dass Frau Silbereisen aus unserer Abteilung für das Verfahren zuständig ist.«
Diener kam mit der Kaffeekanne um die Schreibtische herum und goss Schultz den Boss -Becher voll. »Jetzt bekommst du endlich einen ordentlichen Kaffee.«
Schultz seufzte und griff zum Telefonhörer.
7. Kapitel
Als Beuchert gegen Abend den schmucken Fachwerkbau »Haus Wertheym« an der Mainseite des Römerbergs betrat, sah er mit einer Ausnahme auf leere Tische. Nur seitlich des Eingangs saß eine etwas füllige Frau mittleren Alters, deren größte Auffälligkeit eine hochgetürmte, weißblond gefärbte Frisur war. Sie hatte einen Schnaps vor sich stehen.
Wasserstoffsuperoxyd. Die Mode der sechziger Jahre, schoss es Beuchert durch den Kopf. Er bewunderte mit gefälligem Blick die gemütliche Einrichtung des Lokals, das als einziges die Bomben des Zweiten Weltkriegs einigermaßen unbeschadet überstanden hatte. Am Tisch neben der Dame nahm er Platz und bestellte einen Eisbock, ein hochprozentiges Dunkelbier, und einen klaren Schnaps.
Beuchert war durcheinander. Nachdem er sich von Krawinckel verabschiedet hatte, war er an das nördliche Ufer des Mains gefahren. In der Nähe des Jüdischen Museums hatte er sein Auto geparkt und war hinunter zur Uferpromenade gegangen.
Die Bänke entlang des Spazierwegs, die während der warmen Monate bevorzugt von Liebespaaren und Rentnern besetzt wurden, hatten leer gestanden. Die dahinter angelegten Wiesen, im Sommer Tummelplatz der Sonnenhungrigen, waren vereinsamt. Auf den Asphalt der Promenade hatte unaufhörlich der Regen geprasselt. Davon hatte er sich nicht stören lassen. Nicht einmal den kleinen Schirm, der vorsorglich im Kofferraum abgelegt war, hatte er zur Hand genommen. Er hatte die Frische der Regentropfen genossen, die ihm in Strömen das Gesicht hinuntergelaufen waren und seinen Anzug durchweicht hatten, als könnten sie alles abwaschen, was ihm schmutzig vorgekommen war. So weit das Auge gereicht hatte, war keine Menschenseele zu sehen gewesen. Gut so! Es hatte ihn gedrängt, allein zu sein.
Unterhalb der Brücke Am Eisernen Steg hatte er eine Reihe von weißen Hotelbooten registriert, die insbesondere zu Messezeiten die Bettenkapazität der
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