Das Kabinett der Wunder
zurückstehlen?«
»Du musst ja nicht gleich so tun, als ob ich verrückt wäre.«
»Das Wort ›verrückt‹ wird dir nicht gerecht. Ich hab mehr in die Richtung gedacht wie ›tobende Irre‹, ›bescheuert wie ein Schiff voller Narren‹, ›einen Knacks in der Glaskugel‹, ›Traumtänzerin‹ oder ganz einfach ›verbohrt‹!«
Sie saßen auf einem Mooshügel im Wald. Astrophil war losgegangen, nachdem er sein Interesse bekundet hatte, die Gewohnheiten der Ameisen zu studieren.Von Weitem hörten Petra und Tomik Holzfäller bei der Arbeit. Es war nun September, der Sommer vorbei und die Rapsernte bald zu Ende. Die Leute im Ort begannen, sich Holz für den Winter zu beschaffen.
»Der Plan ist ohne jedes Risiko«, sagte Petra, »wenn du mal in aller Ruhe darüber nachdenkst.«
»Hmmm. Dann lass mich mal nachdenken. Ich denke. Und weißt du, was? Ich kann einfach nicht um des Himmels und der Erde willen herausfinden, warum das ungefährlich sein soll.«
Petra hatte Mühe, sich zu beherrschen. Als sie dann sprach, versuchte sie, sachlich zu klingen, doch ihre Stimme war deutlich angespannt. »Ich muss einfach nach Prag gehen. Es kann doch nicht so schwer sein, sich als Dienerin in der Salamanderburg zu verdingen. Da gibt es Hunderte von Dienerinnen. Wahrscheinlich braucht allein der Prinz drei von ihnen, die seine Socken waschen.«
»Du willst seine dreckigen Socken waschen?«
»Nein, ich will einfach eine Arbeit in der Burg bekommen, zum Beispiel« - Petra zerbrach sich den Kopf und versuchte, sich an irgendwelche Fähigkeiten zu erinnern, die sie hatte - »zum Beispiel die Böden wischen«, vollendete sie lahm. Dann sagte sie mit neuem Schwung: »Kannst du dir vorstellen, dass mein Vater sechs Monate in der Burg gelebt hat und niemandem aufgefallen ist, dass er plötzlich verschwunden war? Die Leute reden. Und ich werde zuhören. Dann finde ich heraus, wo der Prinz die Augen meines Vaters versteckt. Und wenn ich glaube, dass ich das schaffe, stehle ich sie. Wenn ich glaube, dass ich das nicht schaffe, komme ich einfach zurück nach Okno.«
»Für mich klingt das viel zu riskant.«
»Es ist mir ganz egal, ob es das ist oder nicht.« Sie sah Tomik mit einem Blick an, den er nur zu gut kannte. Es
war der stählerne Ausdruck in Petras Gesicht, wenn sie besonders halsstarrig war.
»Dann komme ich mit dir«, sagte Tomik.
Darauf hatte sie gehofft. »Wirklich?«
»Natürlich. Ich kann dich doch nicht allein so verrückt sein lassen. Irrsinn braucht Gesellschaft.«
Doch Petra kamen Bedenken. »Nein«, sagte sie widerstrebend. »Du musst deinem Vater helfen, ein Paar Glasaugen herzustellen, die auch funktionieren. Du weißt, dass ich vielleicht gezwungen bin, mit leeren Händen nach Okno zurückzukehren. Du musst deinen Vater dabei unterstützen, eine Lösung zu finden.«
Enttäuscht zuckten Tomiks Hände zurück, als hätte er sich verbrannt. »Er hat noch nie auf mich gehört. Es ist einfacher, den Kaiser herumhopsen zu lassen wie einen Tanzbären, als meinen Vater dazu zu bringen, irgendetwas anzuhören, was ich über Magie zu sagen habe.«
»Dann sag gar nichts und zeig es einfach.«
»Leichter gesagt als getan.«
»Du kannst es wenigstens versuchen. Was du da mit den Glaskugeln gemacht hast, habe ich vorher noch nie bei jemandem gesehen. Wenn du deinen Vater dazu bringen kannst, sie sich anzugucken, wird sogar er beeindruckt sein.«
»Na ja, vielleicht.« Sie wusste, dass sich Tomik darüber freute, dass sie seine Fähigkeiten zu würdigen wusste. »Aber mir gefällt die Vorstellung trotzdem nicht, dass du allein nach Prag gehst.« Sein Gesicht verdüsterte sich.
»Gehen nicht auch Lucie und Pavel bald nach Prag?
Hast du nicht gesagt, sie hätten vor, Ware aus dem ›Haus zum Feuer‹ zu verkaufen?«
»Sie brechen in zwei Wochen auf und wissen noch nicht genau, wie lange sie bleiben werden. Es hängt davon ab, wie der Verkauf läuft. Du musst schnell in Erfahrung bringen, wie du in die Burg hineinkommst.« Tomik wirkte sehr konzentriert, so wie immer, wenn ihm ein Problem vorgelegt wurde, das er lösen sollte. »Ich schlage vor, du erzählst Lucie, dass deine Familie Medizin für deinen Vater braucht.«
Tomiks Vorschlag klang vernünftig. Obwohl Okno ein wohlhabender Ort war, gab es hier keine Apotheke. Varenka, die alte spindeldürre Frau mit der braun gesprenkelten Haut, die geholfen hatte, Petra zur Welt zu bringen, konnte einige Tränke brauen, die angeblich Kopfschmerzen und Fieber heilen
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