Das Kabinett der Wunder
sollten, doch es war besser, nicht danach zu fragen, was Varenka in ihre Tränke mischte. Sagen wir einfach, dass pulverisierte Hühnerknochen, zerriebene Fliegenflügel und Schneckenschleim dabei die weniger ekelerregenden Dinge waren, die sie in »Medizin« verwandelte.
»Sag einfach, deine Familie ist der Meinung, dass du mal eine Pause von zu Hause brauchst und dass du außerdem eine Tante in Prag hast, die du besuchst.« Tomik hatte noch mehr Ratschläge parat. »Auf diese Art musst du nicht immer in dem Gasthof bleiben, wo sie absteigen. Aber die Nächte solltest du bei Lucie und Pavel verbringen. Nach Einbruch der Dunkelheit darfst du nicht allein in Prag herumlaufen. Das kann gefährlich sein.« Tomik war einmal mit seinem Vater in der Stadt gewesen. »Lass niemals auch nur eine
Krone im Gasthaus zurück. Die wird gestohlen.Trag deinen Geldbeutel versteckt am Körper unter den Kleidern. Und was immer du auch tust, lass niemanden wissen, wo du es versteckt hast. Es gibt viele Zigeuner in der Stadt, und einer ihrer beliebtesten Tricks ist, dich auf der Straße anzurempeln. Dann greifst du nach deinem Geld, wo auch immer du es hast, um dich zu vergewissern, dass es noch da ist. Und dann wissen sie, wo es ist. Wenn du dich dann sicher fühlst, schleicht dir einer hinterher und klaut dir deinen Geldbeutel, wenn du gerade nicht aufpasst. Überhaupt gehst du Zigeunern am besten aus dem Weg.
Lucie kann keine Geheimnisse für sich behalten, deshalb können wir sie nicht fragen, ob sie dich mitnimmt, ohne es weiterzuerzählen«, fuhr Tomik fort. »Und wenn wir es ihr im Voraus sagen und behaupten, Dita hätte gesagt, das wäre in Ordnung, würde sie das bestimmt jemandem erzählen. Daher wäre es das Beste, am Rande von Okno zu warten, bis Lucie und Pavel an dir vorbeikommen, und dann hinzurennen. Du kannst doch Ditas Handschrift ziemlich gut nachmachen, oder?«
»Natürlich.« Petra lehnte sich gegen einen Baum und faltete die Hände hinter dem Kopf. »Ich unterschreibe mit Ditas Namen besser als sie selbst.«
»Dann schreibe doch einen Brief von ihr an Lucie und Pavel, in dem sie bittet, dass du mit ihnen nach Prag fahren kannst. So müsste es klappen.«
Er nickte zufrieden. Dann meinte er, er sollte nun zurück nach Hause gehen. Also standen sie auf und klopften sich ihre Hosen ab.
»Astro!«, rief Petra.
»Ich glaube, dass …« Tomik blickte Petra an. »Das solltest du tun«, fing er wieder an. »Lass dein Sorgenfläschchen zu Hause, Petra.«
»Warum?«
»Die Sorgenfläschchen haben eine Schwachstelle.« Sein blondes Haar hing ihm wie ein kurzer Vorhang über das Gesicht, als er zu Boden blickte. »Vater hat sie so gearbeitet, dass all die Probleme und Ängste, die Menschen in die Fläschchen flüstern, niemand sonst erfahren kann. Wenn das Fläschchen verschiedene Farben annimmt, dann liegt das daran, dass winzige Kristalle die Innenwände säumen und wie kleine Zähne in diese Ängste beißen. Das Geflüster wird grün und braun, wenn sie zu Stückchen zerbrechen, das Glas wird violett, wenn es die Stückchen aufnimmt. Je öfter du die Flasche benutzt, desto dunkler wird sie. Doch jedes Mal, wenn du sie aufmachst, ist nichts drin, und selbst wenn du sie zerbrichst, können die Sorgen nie entweichen. Sie stecken in den Glassplittern. Aber neulich habe ich entdeckt, dass es eine Möglichkeit gibt, wie du tatsächlich hören kannst, was jemand seinem Sorgenfläschchen erzählt hat.«
Petra erkannte sofort, dass das ein Riesenproblem war. »Aber ihr habt Hunderte von denen verkauft! Sogar an Angehörige des Hofs! Ich wette, die haben ihren Fläschchen jede Menge Dinge erzählt, von denen sie nicht wollen, dass sie jemand anderes erfährt.«
»Genau. Als ich das meinem Vater erzählt habe, war ihm das furchtbar peinlich. Ich weiß nicht, was ihn mehr gestört
hat - dass da eine Schwachstelle ist oder dass ich es war, der ihm das gesagt hat. Noch hat er nicht entschieden, was zu tun ist. Wenn er das jedem erzählt, könnte es unser Geschäft ruinieren. Es wäre ja nicht so schlimm, wenn die Leute, die die Fläschchen gekauft haben, ihr Geld zu rückbekämen.Viel schlimmer wäre, dass sie dann dem Namen Stakan nicht mehr vertrauen würden. Und wenn Vater aufhört, die Fläschchen zu verkaufen, fangen die Leute vielleicht an, sich zu fragen, was falsch an den Fläschchen sein könnte, und jemand anderes außer mir bekommt vielleicht auch heraus, wie man die geheimen Sorgen anzapfen kann.«
»Wie zapfst du
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