Das Kabinett der Wunder
sie denn an?«
»Das ist wirklich einfach.« Tomik schüttelte unglücklich den Kopf. »Lucy hatte beschlossen, ihr Sorgenfläschchen als Vase für Blumen von Pavel zu benutzen, und dieVase behielt dieselbe Farbe wie zuvor. Die war violett, da Lucie nicht genügend Sorgen hat, um das Fläschchen eine dunklere Farbe annehmen zu lassen. Am nächsten Tag waren die Blumen verwelkt und Lucie traurig. Ich war gerade in der Küche, als sie das Wasser ausgoss. Dann hab ich sie sagen hören: »Das ist aber seltsam!«, mich umgedreht und gesehen, dass das Fläschchen wieder klar und durchsichtig war. Da wurde mir klar, dass das Wasser irgendwie die Sorgen aus dem Glas gezogen hat. Das Wasser war nun violett und nicht mehr das Fläschchen. Ich habe ein paar Versuche gemacht und Folgendes entdeckt:Wenn man Wasser in das Sorgenfläschchen füllt und es später wieder ausgießt, hat sich das Wasser verändert und es wird dunkel. Sollte es nun verdunsten, dann
hinterlässt das Fläschchenwasser einen leichten Staub.Wenn man diesen Staub mit dem Finger umrührt, kann man die geflüsterten Sorgen wieder hören.«
»Die meisten Menschen sind aber nicht wie Lucie«, beruhigte Petra ihn. »Wer kommt schon auf die Idee, in ein Sorgenfläschchen Wasser statt Sorgen zu füllen? Deine Familie ist so daran gewöhnt, diese Fläschchen stets zur Verfügung zu haben, dass sie gar nichts Besonderes mehr sind, aber für jeden anderen sind sie sehr wertvoll. Die behandelt man nicht wie gewöhnliche Flaschen. Hat sich schon jemand im ›Haus zum Feuer‹ beschwert?«
»Noch nicht«, sagte Tomik düster.
»Zumindest wird es jeder sofort merken, wenn jemand an seinem Fläschchen herumgepfuscht hat. Wenn du in dein Zimmer kommst und siehst, dass dein violettes Fläschchen klar geworden ist, weißt du, dass da etwas nicht stimmen kann. Da hätte sich bestimmt schon jemand im ›Haus zum Feuer‹ gemeldet, wenn so etwas passiert wäre.«
»Ich glaube, du hast recht.«
»Ihr solltet ein Gegenmittel entwickeln. Das bietet ihr jedem an, der ein Sorgenfläschchen gekauft hat. Und er muss nichts dafür zahlen.«
»Gegenmittel?«
»Ja … weißt du, etwas, das das Wasser daran hindert, die Geheimnisse aus dem Glas zu ziehen.Vielleicht kannst du eine Art Sirup anmischen, den du in das Fläschchen gibst, nachdem das Glas die Sorgen aufgenommen hat. Der Sirup würde dann die Sorgen wie geschmolzenes Wachs im Glas versiegeln.«
»Hmm.« Tomik wurde sehr nachdenklich, und beide sagten nichts, bis ein Kuckuck aus den Bäumen rief und damit das Schweigen brach. »He, wo ist denn deine Spinne? Ich muss nach Hause.«
Glitzernd kam Astrophil über ein Moosbett auf sie zu. »Die organisatorischen Fähigkeiten der Ameisen sind wirklich beeindruckend.«
Noch während er sich näherte, hörten sie ein lautes, splitterndes Krachen.Astrophil quietschte, sprang auf Petras Schuh und schlüpfte unter den Saum ihres Hosenbeins.
»Ist da ein Baum umgestürzt?«, fragte Petra unsicher.
»Zu laut.« Tomik spähte zwischen den Bäumen hindurch.
Ein Lichtblitz zuckte über den blauen Himmel. Krachender Donner ließ alles erbeben.
»Aber es ist doch schönes Wetter!«, protestierte Tomik. »Das ist ja sehr merkwürdig.«
Nicht so merkwürdig wie das, was als Nächstes passierte. Hellbraune Körnchen rieselten durch die Bäume, machten auf den Blättern ein zischendes Geräusch und blieben auf Tomik und Petra liegen.
Tomik fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Dann starrte er ungläubig auf seine Finger. »Das ist … regnet es Sand?«
Wie von Tomiks Frage überrascht, hörte der Sandsturm auf.
Unter fassungslosem Gemurmel kniete Tomik sich hin, um das mit Sand gesprenkelte Moos genauer zu untersuchen. Petra und die Spinne schwiegen, doch beide dachten sie an dasselbe: an die Uhr des Prinzen.
Greensleeves
GANZ IM Geheimen fing Petra nun mit den Vorbereitungen an, um das »Haus zum Kompass« zu verlassen.
Sie arbeitete mehr im Laden als je zuvor, vergewisserte sich, dass die Zahnräder gut geölt und ohne jeden Rostfleck waren. Sie überredete einen Kaufmann, der durch das Städtchen kam, den Zinnaffen zu kaufen. Es tat ihr weh, als sie ihm erzählte, die Tiere wären einzigartig und dass ihr Vater keine mehr herstellen würde. Meister Kronos fühlte sich allmählich besser und er saß gerne im Laden und unterhielt sich mit den Kunden. Ihm gefiel der Kaufmann, der mit trauriger Stimme sprach, die aber sofort fröhlich wurde, als er den Affen erblickte. Doch danach
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