Das Kabinett der Wunder
wussten, dass er magische Kräfte hatte. Diese Menschen wurden festgenommen und nie wieder gesehen.«
»Deshalb leben wir Roma in Wagen«, sagte Neel. »Die sind ganz schön nützlich, um einer Situation aus dem Weg zu gehen, wenn die Dinge zu brenzlig werden.«
Sie kamen zur letzten Statue, der von Kaiser Karl, die besonders gut aussah.
»Was hat der getan?«, fragte Neel.
»Ich glaube, er ist besonders dafür berühmt, wie er Kaiser geworden ist. Als sein Vater, der Kaiser, noch gelebt hat,
hatte Karl einen Bruder, den Prinzen von Ungarn. Karl war der Prinz von Österreich. Der Prinz von Ungarn und sein Vater liebten gebratene Froschschenkel. Eines Abends haben sie sechzig gebratene Froschschenkel gegessen und ein halbes Fass Bier getrunken. Am nächsten Tag waren sie tot. Der Koch wurde angeklagt, sie vergiftet zu haben, und hingerichtet. Dann ist Karl Kaiser geworden. Ich meine, wir sollten nicht an die Geschichte denken, wenn wir seine Statue ansehen. Aber ich kann mich an nichts sonst über ihn erinnern.«
Sie hatten nun die andere Seite der Moldau erreicht und stiegen den Berg hinauf. Neel erklärte, dass dieser Teil von Prag Mala Strana hieß. Die Luft hier war frischer, die Läden hatten Schilder, auf denen nur etwas geschrieben stand, keine Bilder. Die Ladenbesitzer dachten offensichtlich, dass alle ihre Kunden lesen könnten. Oder sie wollten keine Kunden, die nicht lesen konnten.
Ein Junge fegte auf der Straße den Abfall zusammen. Die Dächer der Häuser waren mit roten Tonziegeln gedeckt, kein einziges mit Stroh. Die Hauswände waren in vielen zarten Farben gestrichen: Blassgrün, Buttergelb, Rosa und Himmelblau. Steinerne Engel schmückten die Ecken der Häuser, deren Fenster sämtlich aus Glas waren.
Petra war davon regelrecht eingeschüchtert, doch als sie eine Bemerkung machte, wie schön das alles wäre, sagte Neel lediglich: »Ich hätte nichts dagegen, in eines der Häuser einzusteigen. Ich wette, da gibt es jede Menge glänzendes Zeug zu klauen.«
Ich fühle mich nicht so gut , murmelte Astrophil plötzlich.
Was ist los? Bist du hungrig? Willst du ein bisschen Öl? , fragte Petra und konzentrierte sich auf das Summen in ihrem Kopf, das Astrophils Anwesenheit anzeigte. Erschreckt stellte sie fest, dass das Summen leiser als zuvor war. Was stimmte da nicht? Sie hatte ihm heute Morgen die übliche Menge an Rapsöl gegeben.
Nein, ich bin nicht hungrig. Ich bin … Ich weiß nicht. Schwindelig vielleicht? Es fällt mir schwer, mich an deinem Ohr festzuhalten.
Petra war im Zweifel, was sie tun sollte. So etwas war noch nie vorgekommen. Gerne hätte sie die Spinne heruntergenommen und in der Hand getragen, doch Neel entging nichts. Sie wollte nicht das Risiko eingehen, dass er Astrophil sah.
Versuch, noch etwas durchzuhalten , sagte Petra der Spinne. Zu Neel meinte sie: »Können wir ein bisschen schneller gehen?«
»Wozu die Eile?« Er sah sie fragend an. Dann bemerkte er, wie nervös sie sich auf die Lippe biss. »Ja-a, ich denk schon, wir können was zulegen.« Sein Schritt beschleunigte sich.
Astrophil schwieg.
Als sie das Gelände der Burg erreichten, zeigte Neel auf das Goldene Gässchen mit einer Reihe von winzigen Häusern und sagte, dass dort die Fußsoldaten des Prinzen wohnten. Normalerweise hätte Petra sich darüber amüsiert, dass Menschen in Häusern lebten, die wie angemalte Hühnerställe aussahen. Doch sie hörte kaum, was Neel sagte.
Als sie zu einem eindrucksvollen Gebäude mit drei riesigen
Toren und hoch aufragenden Fenstern kamen, fragte Petra: »Ist das die Burg?«
Neel lachte. »Das ist der Stall. Einer von unseren Ursari-Cousins arbeitet da. Meine Schwester und ich treffen uns normalerweise hier, und wenn einer von uns zu früh auftaucht, kann er mit Tabor reden.« Sie gingen durch eines der kleineren Tore.
Petra hörte das leise Schnauben gut genährter Pferde. Als sich ihre Augen an das dämmrige Licht gewöhnt hatten, sah sie eine junge Frau in einem graublauen Kleid, die sich mit einem breitschultrigen Mann unterhielt.
Neel winkte und ging schnell zu ihnen, während er rief: » Sar san, Pena? « Petra folgte langsamer, weil sie Astrophil nicht durchschütteln wollte. Der dunkelhäutige Mann klopfte Neel auf die Schulter und ging dann mit einer Schaufel in der Hand fort.
Während Petra näher kam, wirkte Neels Schwester wie ein Traum, den sie mit wachsender Deutlichkeit sehen konnte. Ihre schwarzen Haare waren geflochten und zu einem Kranz hochgesteckt,
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