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Das Kabinett der Wunder

Titel: Das Kabinett der Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Rutkoski
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wodurch die weichen Linien ihres schlanken Halses zu sehen waren. Ihre Haut war hell - nicht so blass wie Petras, sondern von einer feinen cremigen Farbe. Ihre mandelförmigen Augen hatten die Farbe von schimmerndem schwarzen Lack.
    Neel sprach schnell auf Romani mit ihr und deutete dabei auf Petra. Sie hörte, wie er ein Wort immer wieder wiederholte: Pena . So also schien er seine Schwester zu nennen, nahm Petra an. Als Neel sich unterbrach und auf Tschechisch sagte: »Das ist Petra«, streckte sie ihre Hand
aus. Petra war stolz auf sich, dass sie etwas von der Unterhaltung verstanden hatte, wenn auch nur ein kleines bisschen, und sagte: »Hallo, Pena.«
    Bruder und Schwester brachen in schallendes Gelächter aus. Die junge Frau schaffte es zuerst, sich wieder zu beruhigen und schüttelte Petras Hand. »Hallo, Pena«, wiederholte sie Petras Worte.
    » Pena bedeutet ›Schwester‹«, erklärte Neel, immer noch kichernd.
    »Mach dir nichts draus, Petra«, sagte die Frau in melodischem, akzentfreiem Tschechisch. »Das ist eine schöne Art, begrüßt zu werden. Wenn alle Menschen in mir eine Schwester sähen, wäre mein Leben wirklich schön. Ich heiße Sadira, aber nenne mich Sadi. Schließlich sind wir jetzt beinahe wie verwandt. Neel sagt, er hätte deinen Geldbeutel gestohlen, aber du hättest ihn nicht dem Gesetz übergeben. Ich weiß nicht, welche Vorstellung mir schwerer fällt, dass du ihn erwischt hast oder dass er nun nicht in einer Gefängniszelle verfault.« Sie blickte ihren Bruder mit gerunzelter Stirn an. »Du solltest solche riskanten Sachen besser nicht machen.«
    »Das war nicht riskant«, protestierte er. »Sie war leichte Beute! Mit einem Zucken hat sie allen gezeigt, wo ihr Geldbeutel zu suchen ist, und auf nichts geachtet außer auf ein Bettelmädchen! Wenn ich ihren Geldbeutel nicht geklaut hätte, hätte das jemand anderes getan.«
    »Offensichtlich ist sie keine so leichte Beute, wenn sie es schafft, dich zu erwischen.«
    »Aber wie soll ich das denn vorher wissen?« Er breitete
die Hände aus. »Sie hat ausgesehen wie frisch vom Land. Als wäre das ihr erster Tag in Prag.«
    »Ist es ja auch«, gab Petra zu. »Ich will hier Arbeit suchen.«
    »Ja, Neel hat gesagt, du willst mich treffen. Er hat gesagt, es hätte dich interessiert, dass ich in der Burg arbeite. Kann ich etwas für dich tun? Ich würde mich gerne dafür revanchieren, dass du den Hals meines kleinen Bruders vor dem Galgenstrick bewahrt hast.« Sadi kniff Neel fest in die Wange und er verzog das Gesicht.
    »Kannst du mir helfen, in der Burg Arbeit zu bekommen?«
    In diesem Augenblick spürte sie Astrophil an ihrem Ohr zucken.
    Petra, ich … , fing er an. Und dann fiel er, stürzte wie eine Sternschnuppe über Petras Schulter.
    Sie schnappte ihn noch in der Luft und blickte mit wachsender Panik auf die Spinne in ihrer offenen Hand.
    Sadi und Neel schauten die Spinne verwundert an. »Was ist das?«, hauchte Sadi.
    »Was macht die denn da?«, fragte Neel.
    Die Beine der Spinne zuckten.
    »Ich glaube …« Erleichterung durchflutete Petra wie frisches kühles Wasser, als ihr plötzlich klar wurde, worin Astrophils Problem bestand. »Ich glaube, er ist gerade eingeschlafen.«

Die Lichtung im Wald
    ETZT WAR eindeutig eine Erklärung fällig. Astrophil war gar nicht bewusst, welches Problem er gerade verursacht hatte. Seine Beine zuckten weiter durch die Luft, während er seine Spinnenträume träumte.
    Neel streckte seine Geisterfinger aus und berührte eines von Astrophils Beinen. »Was meinst du damit, dass er schläft? Sieht mir mehr nach Tanzen aus.«
    Sadi blickte Petra an. »Nun? Magst du uns erzählen, was es - er - ist? Oder behältst du dein Geheimnis lieber für dich?«
    Dass Sadi Petra die Möglichkeit ließ, Astrophil einfach in die Tasche zu stecken und kein weiteres Wort darüber zu verlieren, erweckte in Petra irgendwie den Wunsch, ihnen alles zu erzählen. Aber ein Stallbursche blickte bereits viel zu neugierig zu ihnen herüber. »Nicht hier«, sagte Petra. »Können wir irgendwo hingehen, wo wir unter uns sind?«
    Neel sagte etwas auf Romani zu Sadi. Sie nickte. »Komm doch zu uns zum Mittagessen. Heute ist mein freier Tag. Neel ist gekommen, um mit mir nach Hause zu gehen. Zurzeit leben wir auf der anderen Seite des Berges
unten im Wald. Da können wir offen über deine Silberspinne reden und über deine Arbeitssuche. Komm doch mit, um unsere Familie kennenzulernen. Natürlich nur« - zum ersten Mal sah sie etwas

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