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Das Kabinett der Wunder

Titel: Das Kabinett der Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Rutkoski
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verlegen aus - »wenn du das auch möchtest.«
    Petra steckte Astrophil in die Tasche. »Gehen wir.«
     
     
    Der Wald auf der anderen Seite des Berges war dicht und hatte schon vielen Generationen böhmischer Prinzen zu einer guten Jagd verholfen. Petra sah mehrere Rehe, während sie zwischen den Bäumen hindurchliefen. Ihr kam es nicht so vor, als würden sie einem Pfad folgen, doch Neel und Sadi gingen zielsicher voran.
    Bald lockte der Duft von brennendem Holz und gebratenem Fleisch. Sie hörten das glockenähnliche Klingen eines Hammers auf einem Amboss. Als sie dann eine Waldlichtung erreichten, sah Petra zehn große Wagen, die rings um ein Lagerfeuer angeordnet waren. Ein Hund mit mächtigen Reißzähnen kam bellend auf sie zu und leckte Neels und Sadis Hände, während Petra stocksteif stehen blieb, solange er ihre beschnüffelte.
    Mehrere Kinder in leuchtend bunten Kleidern hatten sich in der Nähe des Lagerfeuers versammelt und bauten zusammen ein Haus aus Steinen, Stöcken und Baumrinde. Eine Frau in einem orangen Hängekleid briet eine Rehkeule an einem Spieß über dem Feuer. Sie schaute sie überrascht an und schien Neel und Sadi etwas zu fragen.
    Das melodische Hämmern hörte auf und ein muskulöser Mann mit kurzem Bart und einem goldenen Ring im
Ohr kam hinter einem Wagen hervor. Den Hammer hielt er in der gesenkten linken Hand. Sein durchdringender Blick streifte Petra. Ohne sie und Neel weiter zu beachten, wandte er sich an Sadi. Er lächelte, doch etwas, das er sagte, ließ sie wütend das Gesicht verziehen. Sie antwortete kurz, stolzierte dann zu dem größten Wagen, machte die Tür auf, trat ein und knallte sie hinter sich zu.
    Der Mann blickte Petra mit offener Feindseligkeit an. Neel sagte etwas in einem Ton zu ihm, der spaßig klang, aber keineswegs nett war. Der Mann zuckte mit den Schultern, als wollte er damit sagen: »Das ist dann dein Problem«, und schlenderte davon. Bald hörten sie wieder das Klingen von Metall auf Metall, doch dieses Mal kamen die Schläge häufiger und lauter.
    »Worum ist es denn da gegangen?«, fragte Petra Neel.
    »Emil ist nicht so glücklich darüber, dass du hier bist.«
    »Das hab ich mir auch schon gedacht.Was hat er zu Sadi gesagt, dass sie so böse geworden ist?«
    »Er hat sie eine Rawnie genannt.«
    »Was heißt das?«
    »Das bedeutet eine Dame von sehr hohem Stand.«
    »Das klingt doch nicht so schlecht.«
    »Ja-a, aber damit meinst du eine von draußen, die nicht dazugehört. Weißt du, Sadis Vater war ein Gadsche. Normalerweise hätte sie bei allen Stämmen ein Problem, voll anerkannt zu werden, außer bei den Kalderasch, weil die von Anfang an gemischt waren. Aber unsere Mam ist die Anführerin, und deshalb behandeln sie alle, als wäre sie auch eine reinblütige Rom.«

    »Deine Mutter ist Führerin der Lowari?«
    »Machst du Quatsch? Schau dich doch mal um. Hier sind wir neununddreißig. Also nicht jetzt. Die meisten von uns arbeiten in der Stadt. Ein paar jagen oder sammeln Pilze, Nüsse und Beeren. Neununddreißig, das ist nicht der ganze Lowaristamm. Meine Mam ist nur die Anführerin von unserer Gruppe.«
    »Warum ist Emil denn hier und nicht jagen oder arbeiten?«
    »Vielleicht hast du gemerkt, dass die Roma nicht die beliebtesten Leute hier in der Gegend sind. Ein paar Leute mögen unsere Hautfarbe nicht, ein paar mögen unsere Art nicht und ein paar Leute … also wir müssen immer genug kampfbereite Männer hier haben. Emil ist nicht der Allerfreundlichste, dem du über den Weg laufen kannst, aber er hat Verstand und ist gut mit Schwert und Dolch. Doch er hat schon immer ein Problem mit Sadi gehabt, was man nur schwer verstehen kann. Du hast sie ja gesehen, sie ist so süß wie ein Apfel. Ich habe keine Ahnung, warum er sie nicht mag.«
    »Und was ist«, überlegte Petra, während sie auf Hammer und Amboss lauschte, »wenn er sie zu sehr mag?«
    Neel starrte sie an, als wäre sie gerade auf ein rasendes Pferd auf dem Weg zum Irrenhaus gesprungen. Er setzte an, etwas zu sagen, brach wieder ab und murmelte schließlich etwas auf Romani. Dann blickte er zu dem Wagen, in dem Sadi verschwunden war, und sagte: »Sadi redet aber lange mit unserer Mam.«
    »Vielleicht hätte ich besser in der Stadt bleiben sollen.«
    »Mach dir darüber keine Gedanken, dass du hier bist. Wir haben doch gewollt, dass du mitkommst. Emil macht gerne Scherereien. Und meine Mutter und meine Schwester haben andere Themen als dich, über die sie reden.« Er scharrte mit

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