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Das Kabinett der Wunder

Titel: Das Kabinett der Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Rutkoski
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schaffte, wenigstens das Brett zu treffen, könnte sie voller Stolz die Lowari verlassen. Sie sagte, sie würde das Messerspiel versuchen.
    »Hast du das schon einmal gemacht?«, fragte Neel.
    »Nein.«
    »Lass mich dir ein paar Dinge zeigen.« Er zog sein Messer. »Also wenn du die Sache so angehst«, sagte er und versteifte sein Handgelenk, »dann wirfst du leicht so, dass der Griff auf das Holz aufschlägt und nicht die Klinge. Schau!« Er warf und das Messer klapperte gegen das Holz und fiel zu Boden. Die Gruppe johlte.
    Neel verfiel in Romani und erklärte (so vermutete Petra), dass er das mit Absicht getan habe. Die Zuschauer lachten und schüttelten ungläubig die Köpfe. Er zuckte mit den Schultern und schien zu sagen, sie sollten glauben, was sie wollten. Dann holte er sein Messer und kam zurück zum Feuer. Das Messer schwebte unter seiner Hand - er hielt es wohl mit Daniors Fingern an der Klinge. »Also, ich kann es auch so halten.« Das Messer hob sich, flog ungefähr einen
Fuß hoch in seine Hand, wobei die eiserne Spitze auf das Brett zeigte. Neel warf das Messer. Es schwirrte durch die Luft und schlug genau ins Schwarze ein.
    Die Roma waren nicht annähernd so beeindruckt wie Petra. Sie hatten so etwas schon viele Male vorher gesehen. Einer von Emils Freunden sagte, dass Neel einen unfairen Vorteil genutzt habe.
    »Unfair!«, brummte Neel Petra zu. »Selbst wenn du die Geisterfinger hast, musst du immer noch lernen, damit umzugehen. Danior hat das auch getan. Als ob ich nicht geübt hätte, um das zu können.« Beleidigt holte er das Messer für einen dritten Wurf.
    »Du musst das Messer so halten.« Er fasste das Messer am Griff, knickte das Handgelenk ab und blickte Petra an, um zu sehen, ob sie bemerkte, wie anders er es jetzt im Gegensatz zu vorher hielt.
    Zu ihrer Überraschung erkannte sie den Unterschied. Sie nickte.
    Er warf und das Messer traf ins Rote.
    Nun war Petra an der Reihe. Als sie das Messer in der Hand hielt, war es ganz seltsam für sie, wie natürlich es sich anfühlte. Sie schien das Messer in ihrem Geist wie eine leicht stechende Nadel zu spüren. Sie wusste instinktiv, wie sie die Finger halten musste, wie den Arm anwinkeln, das Handgelenk und die Metallklinge. Es schien so einfach, wie Korn auf eine Waagschale zu geben, bis die Nadel genau auf das Gewicht zeigte, das man haben wollte. Petra kniff die Augen leicht zusammen. Der schwarze Mittelpunkt war ungefähr so groß wie eine Sommersprosse.
Doch als sie warf, wusste sie, dass die Klinge ins Schwarze treffen würde. Und das tat sie.
    Neel pfiff und klopfte Petra anerkennend auf den Rücken. Alle sahen zumindest ein wenig verblüfft aus. Sadi und ein paar andere klatschten Beifall und lebhaftes Stimmengewirr setzte ein. Ein Wort hörte Petra immer wieder: Petali .
    »Was ist Petali ?«, fragte sie Neel.
    »Das heißt ›Glück‹. Sie sagen, du hättest Anfängerglück.«
    »Wirklich?«, fragte Petra verschmitzt und ging, um die Stahlklinge aus dem Brett zu ziehen. Ihr gefiel das Spiel. Diesmal nahm sie sich nicht so viel Zeit, um die richtige Position für den Wurf zu finden. Zuversichtlich ließ sie das Messer aus der Hand wirbeln. Wieder traf sie ins Schwarze.
    Mit einem breiten Lächeln drehte sie sich zu Neel um. »Meine Familie hatte schon immer eine gute Beziehung zu Metall.«
     
     
    Einige Stunden später erinnerte sich Petra, dass sie nun zu ihrem Gasthof zurückmüsste. Sie und Sadi hatten verabredet, sich am nächsten Morgen um acht Uhr im Stall der Burg zu treffen. Petra nahm ihr Bündel auf. »Ich bringe dich nach Hause«, sagte Neel.
    Gemeinsam marschierten sie durch den Wald und steuerten auf die Stadtmitte zu. Den ganzen Weg über unterhielten sie sich. Petra erzählte ihm von den Unterschieden zwischen Prag und Okno. Sie beschrieb ihre Familie und Tomik. Neel beschwor ausdrucksstarke Bilder von den
verschiedenen Orten, an denen sie schon gelebt hatten: zum Beispiel Spanien, Portugal, Ungarn und Nordafrika.
    Nachdem sie über die Karlsbrücke im älteren Teil der Stadt angelangt waren, dachte Petra, sie würden denselben Weg zum »Geschorenen Lamm« und dem Markt zurückgehen, doch Neel führte sie in eine andere Richtung. »Ich möchte dir noch etwas zeigen.«
    Er brachte sie zu einem Platz, der von hoch aufragenden Türmen flankiert war, mit Turmspitzen, die wie Stacheln aussahen. In der Mitte des Platzes waren Menschentrauben zu sehen, die um ein großes schlankes Gebäude mit spitzem Dach standen. Die

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