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Das Kabinett der Wunder

Titel: Das Kabinett der Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Rutkoski
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Geldbeutel. In ihr kämpfte die Enttäuschung mit einem heimlichen Gefühl der Erleichterung. Inmitten von lauter Neuem - einer neuen Stadt, einem neuen Verbündeten und einem gefährlichen Plan - war sie sich gar nicht so sicher, ob sie auch bereit wäre, die eher außergewöhnlichen magischen Fähigkeiten ihres Vaters nutzen zu können. Sie wusste nicht richtig, was es eigentlich bedeutete, sie zu nutzen. Und sie wusste zu wenig darüber, wer sie eigentlich war.
    »Du bist jung, Petra«, sagte Astrophil laut. »Erwarte nicht, dass alles auf einmal kommt.«
    »Es ist nur so … Ich hab all die Jahre gedacht, dass es mir egal wäre, ob ich irgendwelche magischen Kräfte habe oder nicht. Ich hab nie erwartet, dass ich tatsächlich welche habe.«
    »Ich habe nie daran gezweifelt, dass du welche hast.«
    »Und jetzt weiß ich nicht, was ich damit tun soll.«
    »Du solltest immer das tun, was du kannst. Und ich rede nicht über Magie.«
    Petra zog das Notizbuch aus ihrem Bündel. Nachdem sie es eine Stunde lang durchgesehen hatte, war sie allerdings noch immer nicht schlau daraus geworden. Die Zeichnungen waren faszinierend, doch meistens zeigten sie Dinge, die Petra entweder schon gesehen hatte (wie die Figuren
der Uhr und die Wasserfontänen), oder Sachen, deren Bedeutung sie nicht verstand. Petra hielt inne, als sie ihr eigenes Gesicht sah, und fuhr mit dem Finger die Umrisse ihres mit Bleistift gezeichneten Gesichts nach. Sie erinnerte sich, dass der Figur des Lebens Gier und Tod nachfolgten. Doch die meisten Zeichnungen schienen wenig mit der Staro-Uhr zu tun zu haben. Petra sah Frühlingsblumen (wie Krokusse) und Winterbeeren (wie Stechpalme und Mistel). Es gab eine Zeichnung von ihrem Haus in Okno, einem dünnen Schwert, von einem Schiff, das Zahnräder hatte, die Paddel durch das Wasser drehten, von einem Haus, das auf Hühnerbeinen stand wie das Haus der Märchenhexe Baba Yaga, von einem menschlichen Herz, das in Abschnitte aufgeteilt zu sein schien, und von einer Echse mit dem Gesicht eines Mannes.
    Einige der Zeichnungen sahen aus wie Kopien der Uhr. Sie wirkten ziemlich nachvollziehbar. Petra bemerkte nichts Ungewöhnliches an den Maßen für die Skalen und das Ziffernblatt. Doch was sie völlig verblüffte, waren jede Menge Gleichungslinien. Ratlos fragte Petra: »Verstehst du das, Astro?«
    Die Spinne blickte sie trübsinnig an. »Ich habe die Gleichungen auf der Fahrt nach Prag studiert, aber es gibt keine Erklärung auch nur für eines der Symbole.Wie kann ich eine Gleichung herausbekommen, wenn ich nicht einmal weiß, wofür die Symbole stehen?«
    Petra hörte Pavels und Lucies Schritte auf der Treppe. Sie klappte das Buch zu und setzte sich auf die Pritsche. »Das bringt alles überhaupt nichts.« Sie streckte sich aus
und schrie auf, als sie von der ersten Wanze gebissen wurde. »Astrophil, warum tust du nicht so, als wärst du eine echte Spinne und frisst die Insekten?«
    »Was für eine unerfreuliche Vorstellung«, sagte er gleichmütig, rollte sich zu einem kleinen Zinnball auf dem Kissen neben Petras Kopf zusammen und schlief zum zweiten Mal in seinem Leben ein.
     
     
    Der Haushofmeister der Salamanderburg, Harold Listek, war ein nervöser Mann mit wässrigen Augen. Petra stand vor ihm und versuchte, die Knitterfalten in ihrem Rock zu glätten.
    Meister Listek warf Petra einen verwirrten Blick zu und wandte sich an Sadi. »Also, was ist das?«
    »Ich verstehe nicht?«
    »Junge oder Mädchen?« Er sah so aus, als befürchtete er, hereingelegt zu werden.
    »Ein Mädchen, Herr. Sie heißt …«
    »Viera«, unterbrach Petra. Ihr eigener Name war nicht so schrecklich üblich, und sie hielt es nicht für klug, irgendetwas von ihrer Identität preiszugeben.
    »Also wenn sie ein Mädchen ist, was zum Teufel ist dann mit ihren Haaren passiert?«, rief er.
    »Die Pocken«, sagte Petra prompt. Diese Krankheit ließ einen schier glatzköpfig werden, zumindest bis sie überwunden war und die Haare Zeit gehabt hatten nachzuwachsen. Petra stellte sich Neel mit völlig kahlem Kopf vor und musste ein Lachen unterdrücken.
    Doch Meister Listek hatte das bemerkt. »Über die Pocken
gibt es nichts zu lachen, Mädchen. Also so, wie du dreinschaust, könnte jedermann denken, die Pocken seien für dich ein Leckerbissen wie Kolatschen! Keineswegs! Keineswegs! Sie können deine Haut aussehen lassen wie eine Käsereibe. Ich könnte dir ein paar Geschichten von Schönheiten des Hofes erzählen, die von einem Pockenanfall

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