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Das Kabinett der Wunder

Titel: Das Kabinett der Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Rutkoski
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verschiedene dampfige Gerüche.
    »Da gehst du rein, Petra. Ich treffe dich heute Abend. Genieße deinen ersten Tag in der Küche.« Sadi lächelte. »Und versuche, möglichst keine Messer zu werfen.«
    Die Küche war ein Wirbel von Aktivitäten. Männer und Frauen rüttelten an Pfannen auf einem Backsteinherd, in dem ein Holzfeuer brannte. Einige Töpfe, die groß genug waren, um ein Bad darin zu nehmen, hingen über verschiedenen Feuerstellen. Petra spürte, wie ihr sofort der Schweiß auf die Stirn trat. Die anderen Leute in der Küche schienen den Schweiß gar nicht zu bemerken, der ihnen über das Gesicht lief, während sie um einen gewaltigen Tisch wuselten, der fast den gesamten Raum einnahm und mit Fleisch, Gemüse und Käse beladen war.
    Petra fragte ein Mädchen, ob sie mit Meisterin Hild sprechen könnte. Sie wurde zu einer robusten Frau geführt, die ein Hackmesser in der Hand hielt. Meisterin Hilds Gesicht wirkte ständig gereizt. Fältchen fächerten sich um ihren schmalen Mund.Während das Mädchen Petra als das neue Küchenmädchen vorstellte, bemerkte Petra beklommen, dass Meisterin Hilds rechter Arm muskulöser
war als der linke, was vom stundenlangen Hacken kam. Als die Frau das Hackmesser weglegte, entspannte sich Petra.
    Meisterin Hild legte ihre feuchten Hände auf Petras Schultern und dirigierte sie zum Tischende, wo ein Berg von schmutzigen Zwiebeln lag. Petra stutzte. Einer der Küchenjungen kicherte.
    »Schäl die«, befahl Meisterin Hild.
    »Die alle? Allein?«
    »Natürlich, du dummes Ding. Alle anderen haben zu tun. Heute Abend findet ein großes Festmahl für dreißig Personen statt, einschließlich der Gesandten von Italien, England und des Osmanischen Reichs.«
    Sehnsüchtig sah Petra zu den anderen Dienern, die kleine Wachteln stopften, Sellerie hackten, Käse raspelten und Fleisch klein schnitten. Eine glückliche Frau vermischte Butter, Eier, Zucker und ein dunkles Gewürz. Einige der Küchenleute blickten sie blasiert an und waren offensichtlich froh, der schlimmsten aller Arbeiten entkommen zu sein. Petra forschte in Meisterin Hilds Gesicht nach einem Funken Mitleid, fand aber nichts. »Wo ist ein Messer?«
    »Du schälst sie nur mit den Fingern. Wenn du damit fertig bist, kannst du ein Messer haben, um sie klein zu hacken.«
    Verzagt blickte Petra auf den riesigen Berg gelbbrauner Knollen. »Aber wofür sind die denn alle?« Sie konnte sich nicht vorstellen, für welches Gericht so viele Zwiebeln gebraucht würden.
    »Genueser.«
    »Genu-was?«

    »Ge-nu-e-ser.« Sie betonte es Silbe für Silbe, als würde sie zu jemandem sprechen, der als kleines Kind auf den Kopf gefallen war. »Genueser wird aus Zwiebeln und Fleisch gemacht. Das ist ein Gericht aus Italien. Du hast doch schon von Italien gehört, oder etwa nicht?«
    Ein dürres Mädchen kicherte.
    Petra schoss einen gefährlichen Blick in ihre Richtung ab, dann antwortete sie: »Der größte Reichtum Italiens stammt aus der Besteuerung von Schiffen, die seine Häfen ansteuern. Es wird oft von Piraten angegriffen.« Sie unterbrach sich kurz und Astrophil half lautlos. »Italien setzt sich aus Stadtstaaten zusammen. Es ist in verschiedene Gebiete unterteilt, jedes wird von einem Herzog regiert.« Petra merkte, dass das Hacken und Schaben in der Küche aufgehört hatte. Alle gafften sie an. »Italien …«
    »Es reicht.« Meisterin Hild stieß sie auf einen Stuhl und drückte ihr eine Zwiebel in die Hand. »Schälen.«
    Als sie gegangen war, beugte sich ein sommersprossiges Mädchen zu ihr und flüsterte mitfühlend: »Wenigstens kannst du dabei sitzen.«
    Nach stundenlangem Schälen war Petra von den papierartigen Zwiebelschalen bedeckt und ihre Finger starrten vor Schmutz. Auf dem Tisch lagen nun zahllose nackte Zwiebeln. Meisterin Hild kam vorbei und gab Petra ein Messer und einen riesigen Topf. »Hacken«, sagte sie.
    Petra hackte. Sie schnitt die Zwiebeln schnell und mit einer Anmut, die ein paar der Mädchen in ihrer Nähe auffiel. Doch Petra sah die Bewunderung nicht, weil ihr vom Saft der Zwiebeln die Tränen aus den Augen schossen. Sie
schniefte, um das Brennen in der Nase zu lindern, und fragte sich, ob die Kerkerwächter jemals diese Art von Folter bei den unglücklichen Menschen angewandt hatten, die sie hinter Schloss und Riegel hielten. Die gehackten Zwiebeln warf sie in den Topf.
    Dann schnitt sie eine Zwiebel auf und sah statt der weißen Ringe eine Ansammlung von schwarzer stinkender Schmiere. Der Geruch traf sie

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