Das Kabinett der Wunder
wie ein Schlag ins Gesicht. Petra unterbrach die Arbeit und rümpfte die Nase. Dann fegte sie voller Absicht (ziemlich frech) die schlechte Zwiebel in den Topf.
Genueser, so erfuhr sie, musste stundenlang geschmort werden.
Als Petra endlich ihre Aufgabe beendet hatte, stellte Meisterin Hild den Topf über eines der Küchenfeuer und fügte ein paar große Stücke Fleisch hinzu. Dann führte sie Petra zu einem Abwaschbecken, das bis oben hin voll war mit fettigem Geschirr. Sie kippte einen Kessel kochendes Wasser in das Becken. »Spülen«, sagte sie.
Petra spülte.
Zu sagen, sie war es leid, wäre untertrieben gewesen. Aber sie wurde zumindest von Astrophils Bericht über die Besonderheiten Italiens und der Vorstellung unterhalten, was Meisterin Hild passieren würde, wenn der italienische Gesandte ihr Genueser probiert hatte.
Doch Petra blieb das Vergnügen vorenthalten zu sehen, wie Meisterin Hild gefeuert oder zur Chefspülerin oder obersten Nachttopfschrubberin degradiert wurde. Meisterin Hild kam an dem blubbernden Topf vorbei, tauchte
einen Holzlöffel hinein und schlürfte einen Mundvoll. Würgend spuckte sie ins Feuer und schnappte sich einen Krug mit Wasser, nahm einen großen Schluck und Wasser spritzte über ihre fleckige Schürze. Sie hustete und spuckte wieder. Dann wirbelte sie herum und entdeckte die Frau, die verantwortlich für die Auswahl und das Schneiden des Fleischs gewesen war. Meisterin Hild schlug ihr mit dem Holzlöffel auf den Arm. Die Frau schrie auf. »Das war ich nicht, Meisterin! Das Fleisch war frisch, das weiß ich genau!«
»Das war sie!« Das dürre Mädchen zeigte mit ihrem langen Finger auf Petra. »Die hat eine schwarze Zwiebel in den Topf geworfen. Ich hab gesehen, wie sie’s getan hat!«
Was ist da los? Astrophil hob den Rand von Petras Haube und spähte nach draußen.
Meisterin Hild stand Petra gegenüber, den Holzlöffel noch immer in der Faust.
Oje , sagte Astrophil. Ich glaube, jetzt wirst du gleich rausgeschmissen.
Petra langte nach einem großen Glas voll mit heißem schmutzigen Wasser und sah die Köchin an. Aber nicht kampflos! , hallte es ihr durch den Kopf.
Doch Meisterin Hilds oberste Assistentin kam durch den Raum und flüsterte der Köchin ins Ohr, wobei sie die Augen auf Petra gerichtet hielt. Während sie sprach, verzog sich der Mund der Köchin zu einem kleinen Lächeln. Und das gefiel Petra ganz und gar nicht.
»Du«, verkündete Meisterin Hild, »du gehst in die Färberei.«
In der Färberei
ICH BRING sie hin!« Das Mädchen, das Petra verraten hatte, streckte ihren dürren Arm in die Höhe. »Ich! Ich!«, schrie ein Junge mit Schweinefett an den Fingern.
Einige Diener reklamierten das Recht, Petra zur Färberei zu bringen, für sich - was immer das auch sein mochte. Petra fragte sich schon, woher ihre plötzliche Beliebtheit kam, als Meisterin Hilds Antwort die Dinge klärte.
»Ihr wollt euch ja nur vor der Arbeit drücken«, spottete die Frau.
»Ich bin mit meiner Aufgabe fertig«, sagte das sommersprossige Mädchen scheu. Die Sahne, die sie schlagen sollte, hatte sich zu weißen kissenartigen Hügeln verfestigt.
Meisterin Hild nickte. Sie kritzelte eine Notiz, gab sie dem Mädchen und wies ruckartig mit dem Kopf zur Tür. Widerstrebend stellte Petra das Glas mit dem fettigen Wasser ab und folgte dem Mädchen durch die Tür nach drau ßen. Astrophil seufzte vor Erleichterung auf. Auch auf die Gefahr hin, als treulos zu gelten, glaube ich, dass ein Streit zwischen Meisterin Hild und dir nur auf eine Weise hätte enden können:
Sie hätte dich zu Hackfleisch gemacht und zum Abendessen serviert.
Solange Hackfleisch nicht zusammen mit Zwiebeln serviert wird, möchte ich mal sagen, gibt es schlimmere Schicksale.
Sobald sie den Gang erreicht hatten, holte Petra ihre Begleiterin ein. Die grünlichen Augen des Mädchens und ihre roten Wangen gaben ihr das Aussehen eines Mädchens vom Land. Sie hatte den Kopf gesenkt und den Blick auf ihre kleinen Füße gerichtet. Sie schien wenig Schwung und Elan zu haben, doch Petra war einfach nur froh, Meisterin Hilds Gesellschaft entkommen zu sein und ihrer Bewaffnung mit dem Riesenzahnstocher. »Ich bin Viera«, sagte sie. »Und wie heißt du?«
»Susana.« Ihr ländlicher Akzent, genau wie der von Petra, war schwer wie Baumsirup. »Du kommst aus den Bergen, stimmt’s?«
»Ich bin aus Okno.«
Susana hörte auf, ihre Füße zu betrachten, und sah Petra erfreut an. »Wirklich? Ich hab schon immer mal nach
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