Das Kabinett der Wunder
Szene hatte doch nichts mit Büchern zu tun.
Das ist Archimedes. Er war ein griechischer Philosoph und Mathematiker. Schau mal, er ist so in Gedanken, dass er nicht mitkriegt, wie die Griechen und Römer sich hinter ihm bekriegen. Er hatte sich so in seine Arbeit vertieft, dass er den römischen Soldaten gar nicht bemerkt hat, der gekommen war, um ihn zu töten. Er ist für seine Idee gestorben.
Sollte diese Szene eine Warnung sein? Oder sollte Archimedes eine Art Vorbild sein? Wie auch immer, Petra gefiel diese Schnitzerei nicht. Sie drückte gegen die Tür, die weit aufschwang, und stand nun in einem Raum, der nicht viel größer war als ein geräumiger Schrank. Direkt vor ihr saß ein Mann in einem hochlehnigen, gepolsterten, mit Brokat bezogenen Sessel. Sein Tisch war niedrig, klein und leer bis auf eine Leiste, auf der stand: Meister Humfrey Vitek Wohlgeboren. Der Mann war ziemlich dick und ungefähr so alt wie ihr Vater. Er trug eine Perücke, eine Brille und ein rot paspeliertes Gewand. Er hatte Petra nicht bemerkt und starrte ins Leere, wobei seine Augen ständig von links nach rechts zuckten.
Die Tür, die Petra aufgestoßen hatte, schwang quietschend wieder zurück. Dann schlug sie zu. Meister Humfrey fuhr zusammen. »Was? Was?« Dann schob er die Brille zurecht und fasste Petra ins Auge. »Na, Fräulein, wen haben wir denn da?«
»Viara.«
»Also, Fräulein Viara, ich möchte ja nicht unhöflich sein, aber bist du auch ganz sicher, dass du hier sein solltest? Verstehst du, ich habe gerade ein erlesenes persisches Sonnet über eine Wüstenblume mit dem Namen Seelenrose gelesen. Ich fühlte mich so friedlich.« Er rang die Hände, faltete sie und seufzte. »Wenn du keinen Pass für die Bibliothek hast, muss ich die Wache rufen, die meinen Zustand der Gelassenheit zerstören würde. Die Regeln besagen, dass ich in Fällen wie diesen die Wache rufen muss. Doch das scheint mir eine so unnötige Aktivität, die ich wegen etwas so Unwichtigem wie dir unternehmen müsste.«
»Ich suche die Bibliothek.« Sie blickte sich in dem Raum um, doch der war vollkommen leer. Es gab keine anderen Türen außer der, durch die sie gerade getreten war. »Ist sie hier? Wo sind die Bücher?«
Das ist außerordentlich enttäuschend , sagte Astrophil geknickt.
»In gewisser Hinsicht sind alle Bücher hier«, erwiderte Meister Humfrey.
Petra suchte erneut die leeren Wände ab. »Gewiss. Richtig.«
»Sie sind hier.« Er tippte sich an die Stirn. »Wenigstens ein Exemplar von allen.Ausgenommen Bücher, die von der
Löwenpranke vor jedermanns Augen, mit Ausnahme von Prinz Rodolfo, verbannt worden sind. Ich habe eine ergötzliche Arbeit, wirklich. Ich habe hier Liebhaber der Literatur und Geschichte willkommen zu heißen. Und wenn keiner kommt, bin ich doch niemals alleine. Ich kann immer weiterlesen.« Sein Blick wanderte von Petra weg, und er starrte in den Raum, als sähe er auf eine unsichtbare Buchseite vor sich. Dann schaute er wieder zu Petra. »Aber du wirst mich doch nicht dazu bringen, die Wache zu rufen, hoffe ich? Das wäre so unerfreulich.«
»Meine Herrin schickt mich.« Petra hielt ihm Iris’ Brief hin. »Ist das nicht ebenso gut wie ein Pass?«
Meister Humfreys Augen wurden groß, als er das Hermelinsiegel sah. »Ist das von der Gräfin von Krumlov?«
Petra nickte.
»Ach du meine Güte.« Er starrte auf das Papier in Petras Hand. Dann streckte er einen Finger aus, zog ihn aber wieder zurück.
Petra wurde klar, was ihn so zögern ließ, und sie sagte: »Wenn sie ätzend gewesen wäre, als sie ihn schrieb, wäre der Brief verbrannt. An dem Papier ist nichts auszusetzen.«
Er sah ein wenig verlegen aus. »Ja, natürlich.« Dann nahm er das Blatt und studierte es. »Alles in Ordnung. Ja, alles scheint in Ordnung zu sein.« Er gab das Papier zurück. »Dann geh mal.« Er winkte sie zu der leeren Wand hinter sich.
»Meister?«
»Oh, Entschuldigung. Ich bin so geistesabwesend.« Er schüttelte den Kopf und berührte sein Namensschild.
Die Wand hinter ihm verschwand.
»Lass es mich wissen, wenn du etwas brauchst«, flüsterte Meister Humfrey. »Und denke daran, nur mit leiser Stimme. Pianissimo .«
Das entsprach nun schon mehr dem, was Mikal Kronos beschrieben hatte. Die Decke war felsig und dort oben kreisten schweigende Vögel. Regale, um das Vielfache grö ßer als Petra, standen an allen Wänden der Bibliothek. Eine Frau ging zu einem der Regale in der Nähe und zog an einem Hebel. Das Regal schwang
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