Das Kabinett der Wunder
sie dich dabei erwischen, wie du mit dem Fläschchen eines mächtigen Herrn spielst?«
Petra zuckte mit den Schultern. »Es ist bisher allgemein bekannt, dass Sorgenfläschchen narrensicher sind. Und der Adel erwartet nicht, dass Leute wie ich überhaupt wissen, dass das Fläschchen irgendetwas anderes ist als eine hübsche Vase.Wenn mich jemand mit einem Fläschchen in der Hand sieht, sag ich einfach, dass ich es abstaube.«
»Das machst du doch auch, ob ich dir nun helfe oder nicht, stimmt’s?«
»Ja, aber dann brauche ich länger dafür, denn ich muss Dutzende von Zimmern durchsuchen. Und natürlich ist dann die Wahrscheinlichkeit größer, dass ich erwischt werde. Aber was soll ich sonst machen?«
Das wirkte.
Ein paar Tage später, als sie nachts unter ihren Decken steckten, flüsterte Sadi: »Versuch es mit den Räumen vom Hauptmann der Wache. Dritter Stock, Nordwestecke. Der
Türgriff ist ein Eberkopf aus Eisen. Aber normalerweise ist die Tür abgeschlossen. Ich weiß nicht, wie du da reinkommst. Und ich helfe dir nicht dabei.«
»Ist das Fläschchen dunkelviolett?«
Sadi wartete ein bisschen, bevor sie antwortete. »Es ist schwarz.«
»Das Beryllpulver bewirkt absolut nichts!« Iris drückte ihre Stirn gegen die Faust. »Der Farbstoff ist immer noch gelb.«
Die Zeit bis zum Geburtstagsfest verringerte sich immer mehr, und während sie hart an der Herstellung einer neuen Grundfarbe arbeiteten, wurde Iris zusehends verzweifelter.
»Es ist nicht mehr so gelb«, versuchte Petra, sie zu trösten.
»Den Farbstoff kann ich in meinen Nachttopf kippen!«
Ich glaube, ihr geht die Sache verkehrt an , kommentierte Astrophil. Ihr mischt immer Sachen zusammen in der Hoffnung, dass ihr eine Farbe erzeugt, die nicht entstehen kann, wenn man andere Farben vermengt. Glaubst du nicht, dass ihr nun nach einer Sache suchen solltet, die nur eine Farbe hervorbringt?
Petra trug Iris Astrophils Gedanken vor, als wäre es ihr eigener.
Iris dachte darüber nach und murmelte: »Regenbogen.«
»Was?«
»Ein Regenbogen zeigt uns viele Farben.«
»Ja, aber wir kennen diese Farben doch schon. Das ist nichts Neues.«
»Aber manchmal sehen Steine so aus, als würde ein Regenbogen in ihnen stecken. Wie bei Diamanten. Ein Diamant ist klar, doch wenn du genau hinsiehst, kannst du aufblitzendes Regenbogenlicht erkennen - Rot, Orange, Blau, Purpur.Aber was wäre, wenn es da eine Farbe gäbe, die wir nicht bemerkt haben, versteckt hinter den anderen?«
»Willst du Diamanten in Farbstoff umwandeln?« Petra war skeptisch.
»Sei doch nicht so blöd! Diamanten sind zu hart. Du kannst sie nicht einfach zermahlen oder einschmelzen. Vielleicht ein Mondstein.«
Petra holte eine Handvoll von diesen klaren, durchscheinenden Edelsteinen und fing an, sie über einer Flamme von Rapsöl in einer Schale einzuschmelzen. Die Mondsteine verwandelten sich in eine dickflüssige bläuliche Masse. Versuch es mit einem Opal , empfahl Astrophil.
Diese milchig weißen Steine, die in verschiedenen Farben glänzten, standen im Ruf, Unglück zu bringen. Doch Petra war kein abergläubisches Mädchen und so versuchte sie es mit einem Opal.
Er zerfloss zu einer braunen, glitzernden Flüssigkeit.
Iris warf einen Blick darauf und brach in Tränen aus. »Nichts gelingt!« Die alte Frau sank langsam in den Boden ein, und in ihrer Kleidung erschienen Löcher, die immer größer wurden.
Petra! Lauf weg! , befahl Astrophil panisch.
Doch Petra hatte bemerkt, dass eine von Iris’ Tränen in die Schale gefallen war. Als die Säureträne in den geschmolzenen Opal getropft war, hatte sich die Farbe der
Flüssigkeit in der Schale verändert. Und eine solche Farbe hatte Petra noch nie gesehen.
»Iris!«, schrie sie, und ihr Blick wanderte von der Schale zum Boden, der sich zu neigen begann und Petra auf die weiße, fast nackte Frau zurutschen ließ. »Iris, sieh in die Schale!«
Zu Petras großer Erleichterung folgte Iris dieser Aufforderung. Die Tränen versiegten. Die Kleidung hing in Fetzen. Der Boden unter ihren Füßen war nun wie eine flache Wanne, doch sie hatte aufgehört, tiefer zu werden und sich auszubreiten.
»Da ist es«, flüsterte Iris. »Rodolfinium.«
Begreiflicherweise war Petra über den Namen der neuen Grundfarbe nicht besonders erfreut. Sie gab sich Mühe, sich den Abscheu nicht vom Gesicht ablesen zu lassen, doch sie hätte sich keine Gedanken machen müssen. Iris hätte Petras Gesichtsausdruck sowieso nicht bemerkt. Sie war viel
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