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Das Kabinett der Wunder

Titel: Das Kabinett der Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Rutkoski
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ist die Möglichkeit, von jedem Ort, an dem man ist, sich das auszusuchen, was einem gefällt, und wie Äpfel von den Bäumen zu pflücken.«
    »Wie ist es möglich, dass die Roma an komplizierter Mathematik interessiert sind und doch nicht lesen können?«
    »Es ist nicht so, dass wir es nicht könnten. Warum sollten wir lesen?«
    »Na, um Wissen weiterzugeben. Um eure Geschichte weiterzugeben.«
    »Wissen sollte von den Menschen gemeinsam genutzt werden, nicht Dinge. Diese Seiten hier sind einfach nur tote Bäume.« Er sah die Spinne finster an. »Aber jede Geschichte, die es wert ist, behalten zu werden, sollte lebendig sein.«
    Gereizt hob Petra die Hand. »Diskutiert ihr zwei jetzt Philosophie? Denn wenn ich darauf Lust hätte, dann säße ich jetzt auf einer abgesplitterten Bank im Schulhaus von
Okno. Neel, versteckst du das Buch meines Vaters, oder nicht?«
    Der Junge wog das Buch in der Hand. Dann steckte er es unter sein Hemd. »Ja-a, sicher. Ich hebe es für dich auf.« Dann wechselte er das Thema. »Hast du schon die Menagerie gesehen?«
    »Nein.Was ist das?«
    »Die Tiersammlung des Prinzen. Komm, Petali.« Er zog sie am Ärmel mit sich. Sie gingen über das Gelände, bis sie zu einer verschlossenen Tür kamen. Neel hielt seine Hand zwei Handbreit vor das Schlüsselloch und verdrehte die Finger. Das Schloss klickte und er drückte die Tür auf. Dahinter befand sich ein Park, ein Paradies von grünen geometrischen Gebilden. Es gab einen ausgeklügelten Irrgarten und riesige Blumen, die Petra noch nie in ihrem Leben gesehen hatte. Einige der Blüten waren so groß wie ihr Kopf. Sie war erstaunt, dass noch so viele Blumen blühten, denn es war immerhin bereits Oktober. Schmetterlinge flatterten wie bunte Papierschnipsel durch die Luft. Ein winziger Vogel mit einem Schnabel, dünn wie eine Nadel, und Flügeln, die nur ein beständiges Flirren waren, tauchte immer wieder in die Blüten ein.
    »Das ist ein Kolibri«, sagte Neel. »Sieht aus wie ein blaugrüner fliegender Edelstein, oder? Kolibris leben normalerweise nicht in Böhmen. Und du wirst auch nie und nirgendwo alle diese Blumen auf einmal und gleichzeitig blühen sehen. Ich schätze mal, der Prinz hat sie verzaubert.«
    Er führte sie zu einer Reihe von großen Käfigen. Affen
kreischten und kletterten kopfüber an der Käfigdecke entlang und ließen sich vor und zurück schwingen. In einem anderen Käfig sahen sie ein merkwürdiges Wesen mit schimmerndem Pelz, Schwimmfüßen und einem Entenschnabel. »Es legt Eier, genau wie eine Spinne«, informierte sie Astrophil. Das ließ das Tier nur noch merkwürdiger erscheinen.
    Sie sahen ein großes geflecktes Tier mit langen Beinen und einem seltsam langen Hals. Es mampfte gerade Blätter, die oben an den Bäumen hingen.
    »Schaut mal!« Neel zeigte auf einen anderen Käfig. »Das ist eine Elefantenfrau.«
    Die graue Kreatur hatte riesige geschwungene Stoßzähne. Die Augen waren wie kleine Perlen, umgeben von Unmengen von Fältchen. Diese schwarzen Augen waren auf Neel und Petra gerichtet. Dann beachtete das Tier sie nicht mehr. Es schlang seinen kraftvollen Rüssel um ein paar Blätter, riss sie ab und stopfte sie sich dann in den Mund.
    »Ist sie nicht hübsch?«
    Hübsch wäre nicht unbedingt das erste Wort, das Petra in den Sinn gekommen wäre, als sie das Tier betrachtete. Doch sie musste einräumen, dass es eine deftige Art von Anmut hatte. Es sah vornehm aus.Voller Anteilnahme betrachtete sie die Stäbe seines Käfigs. Auch sie fühlte sich eingesperrt.
    Petra erzählte Neel alles, was sich ereignet hatte, seit sie im Denkerflügel arbeitete. Sie beschrieb, wie sie versucht hatte, andere Stockwerke der Burg zu erkunden, aber von den Wachen daran gehindert worden war. Sie schilderte
Iris und ihr Säureleiden. Sie erzählte ihm vom Geburtstag des Prinzen. »Jemand wie er sollte in der Walpurgisnacht Geburtstag haben. Denk mal, er würde zu seinem Fest als Teufel verkleidet kommen!«
    »Aber man soll sich doch als jemand verkleiden, der man nicht ist, da wette ich um eine Krone, dass er als ganz normaler Mensch kommt.«
    Neel blickte das graue Tier gedankenverloren an. »Pet, du müsstest versuchen, Iris dazu zu bringen, dir ihr Einverständnis zu geben, dass du in der Burg überallhin gehen darfst. Sie kann nicht so mir nichts dir nichts durch irgendwelche Gänge laufen, oder? Sie könnte ja wieder einen von den - wie hast du das genannt? - Säureanfällen bekommen. Wenn sie so versessen darauf ist,

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