Das Kabinett der Wunder
zu sehr von der neuen Farbe in der Schale in Anspruch genommen.
Farben neigen dazu, Gefühle zu erwecken. Blau wirkt ruhig, aber kühl. Rot erweckt Leidenschaft. Gelb ruft ein Gefühl von Energie und Rastlosigkeit hervor. Und Rodolfinium lässt sich am besten dadurch beschreiben, dass Petra sich ganz benommen fühlte, während sie in die Schale blickte.
Iris war nun richtig fröhlich und gab Petra den Rest des Tages frei. »Lauf schon los.Verschwinde!«
Petra hatte vor, Iris’ gute Stimmung auszunutzen, und fragte, ob sie ein Tintenfässchen mitnehmen könnte. »Ich
möchte gerne alles, was heute passiert ist, in mein Tagebuch schreiben.«
»Natürlich kannst du das! Eine gute Idee! Ja, ja, nimm dir Tinte. Aber nimm keine Opale mit!« Iris strahlte.
Aber Petra nahm mehr mit als ein Tintenfässchen. Man könnte vielleicht sagen, dass Iris sie zu gründlich ausgebildet hatte, denn PetrasVorstellung von dem, was sie brauchte, war schon fast zu genau. Während Iris in die Schale mit Rodolfinium schaute, nahm sich Petra außer der Tinte die folgenden Artikel: pulverisierte Blaualgen, Sauerampferessig, eine leere Flasche, eiserne Zangen und den Pass zum zweiten Stockwerk.
Die Geheimnisse des Hauptmanns
DIE BEIDEN Wachen vom dritten Stock starrten das Papier an. Sie starrten die Zangen an, von denen das Papier gehalten wurde. Schließlich starrten sie das Mädchen an, das die Zangen hielt.
»Hä?« Einer von den beiden kratzte sich an der Nase.
»Das ist mein Pass.«
»Also, dann gib ihn doch her.«
»Ist gut. Aber ihr nehmt besser auch diese Zangen.«
Die beiden Männer schauten sich an. Wer war diese hochgekrochene Kellergöre? Warum fasste sie ihren Pass mit einem Paar Zangen an, als wäre der giftig? War sie eine Irre, ein misslungenes Experiment des Denkerflügels?
»Wozu zum Teufel brauchen wir diese Zangen?«
»Meine Herrin ist die Gräfin Irenka December. Sie hat den Pass ausgestellt.«
Der erste Mann verzog verwirrt das Gesicht, doch der zweite murmelte ihm etwas ins Ohr. Der erste Mann stöhnte.
»In Ordnung, reich die Zangen rüber.«
Aber als das Mädchen versuchte, die Zangen zu übergeben,
rutschte das zusammengefaltete Blatt heraus und auf den Boden.
»Mist!«, knurrte der eine der Männer. »Gib sie schon her.« Er schnappte sich die Zangen, beugte sich vor und versuchte (wobei er armselig versagte), den Pass aufzunehmen. Sein Wachkamerad grinste.
»Da!« Nach dem vierten oder fünften Versuch hielt er den verkrumpelten Pass sicher im Griff der Zangen hoch. Der andere Wachsoldat klatschte langsam, spöttisch.
Der Soldat mit dem Brief hörte auf zu lächeln. »Hmm. Und wie machen wir den jetzt auf?«
Der eine Soldat hielt den Brief mit den Zangen, und der andere versuchte, ihn mit dem Taschenmesser zu entfalten. Während sie laut und lange fluchten, bemerkte keiner von den beiden den dunklen Schatten, der vorbeischlüpfte und den Flur entlangeilte, wo er sich hinter einem mächtigen Fenstervorhang versteckte. Die beiden Wachen fummelten weiter mit dem Pass herum, wobei sie immer gereizter wurden.
»Gib mir die Zangen!«
»Warum? Damit du den Pass wieder fallen lässt? Gib mir mein Taschenmesser zurück!«
»Das Mädchen hat mir die Zangen gegeben, stimmt’s?«
»Richtig. Und sie ist eine so ausgezeichnete Menschenkennerin. Schlagen wir sie doch für die Löwenpranke vor.«
Schließlich schaffte es einer der beiden, das Papier aufzufalten, indem er seinen Stiefel auf eine Ecke davon stellte und mit den Zangen unter den oberen Teil des Papiers
fuhr. Er packte das Blatt, hielt es aber mit ordentlichem Abstand vor sein Gesicht. »Freier Zugang zum dritten Stock«, stand da mit einem Nachsatz, dass die Assistentin Bücher aus der Bibliothek mitnehmen durfte. Unterschrieben war alles mit »Irenka December, sechste Gräfin von Krumlov«, und es trug ein Siegel mit einem weißen Hermelin. Leidgeprüft seufzte er tief auf und das Papier flatterte in der Luft. »Dann geh schon.« Er gab dem Mädchen die Zangen und den Brief zurück, das alles feierlich entgegennahm und dann den Flur entlangging.
Petra war sehr zufrieden mit sich. Sie war in einem kleinen Ort mit viel beschäftigten Erwachsenen und einem langweiligen Schulmeister aufgewachsen und hatte bei vielen Gelegenheiten üben können, die Handschrift anderer Leute zu fälschen. Und die Arbeit mit Iris hatte Petra in der Kunst der Urkundenfälschung noch ein gutes Stück weitergebracht, denn sie hatte gelernt, dass Sauerampferessig,
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