Das Kabinett der Wunder
Wagen auftauchte und ihr winkte, ihm zu folgen. Sie gingen zwischen den Tannen und schlanken Birken hindurch, die ihre blassen Blätter abwarfen.
Als sie ausreichend weit vom Lager entfernt waren, zog Neel die Flasche hervor, die Petra ihm gegeben hatte. In ihr befand sich kein Wasser mehr, nur noch Staub. Den kippte sich Petra in die Hand und rührte mit dem Finger darin herum.
Wie ein Geist fing eine körperlose Stimme an zu sprechen. Die Stimme des Hauptmanns der Wache war leise
und kratzig. » Und wir haben sie ins Gefängnis gesteckt und zuerst Hunger leiden lassen... Dann haben wir... «
Die Stimme sprach leiernd weiter und erzählte Petra und Neel von schrecklichen Dingen: Folter, Mord, Massengräbern und verlorenen Gliedmaßen. Petra hätte nichts lieber gemacht, als sich den schwarzen Staub von der Hand zu wischen und sie sauber zu schrubben. Übelkeit und Verzweiflung stiegen ihr in die Kehle. Ihre Augen brannten von unvergossenen Tränen und am liebsten hätte sie die Stimme zum Schweigen gebracht. Doch sie hielt ihre Hand still.
» ... bis sie aufgehört haben. Morgen Abend greifen wir uns den Uhrmacher. Fiala Broschek wird ihm die Augen nehmen und sie mit einem Bann belegen. Sie hat gesagt, der Prinz wolle sie für seine Sammlung haben und sie in seinem Kabinett der Wunder einschließen. … «
Petra warf den Staub auf den Boden. Dann scharrte sie Erde darüber. Neel sah ihr mit unbewegter Miene zu. Sie versuchte gar nicht erst, seine Gedanken zu ergründen. Sie wollte das auch nicht. Nachdem sie einen kleinen Hügel über dem Staub aufgehäuft hatte, rieb sie ihre Hände mit Erde ab. Dann saß sie einfach da und zitterte.
Neel stand als Erster auf. Er drehte sich um, ging ein paar Schritte, hielt an und spuckte aus. Dann ging er weiter.
Petra folgte ihm mit Abstand. Sie ließ ihn zuerst zwischen den Bäumen verschwinden. Ohne ein Wort gewechselt zu haben, verstanden sie, dass sie beide allein sein wollten.
Petra …
Sie antwortete der Spinne nicht. Sie wollte keinen weiteren Stimmen mehr zuhören.
Du kannst nicht ändern, was passiert ist. Aber jetzt weißt du, wo Meister Kronos’ Augen sind. Und du kannst in der Sache etwas unternehmen.
Petra wusste nicht, was sie dazu sagen sollte.Also schwieg sie. Ein Rascheln von Blättern unterbrach ihr einseitiges Gespräch. Sie wirbelte herum.
»Ei, ei, Gadsche, was bringt dich denn zurück in unsere Gegend?«
Es war Emil. Er wirkte ganz entspannt, mit der einen Hand hielt er zwei Kaninchen fest, die über seiner Schulter lagen, die andere ließ er locker herabhängen.
»Du sprichst Tschechisch«, sagte sie und war sofort auf der Hut.
»Tu ich und ich verstehe es auch. Und nach dem, was ich verstanden habe, ist das eine Krankheit, die du da gerade gepflanzt hast.« Er deutete mit dem Kopf zu den Bäumen, die das Grab mit den Geheimnissen des Hauptmanns verbargen. »Gerade jetzt graben sich die Ameisen in diesem Stückchen Erde weit weg davon. Kein Grashalm wird dort jemals mehr wachsen. Und ich frage mich, wer ist das Mädchen, das ihr Gift unter mein Volk bringt und es in unserer Erde begräbt?«
»Das Land hier gehört euch nicht«, sagte Petra.
»Das kümmert mich nicht, ob es das tut.«
Petra wollte sich abwenden und gehen, als er sie mit seiner freien Hand am Handgelenk packte. Die Kaninchen
hingen ihm immer noch locker über der Schulter. Wenn Petras Hand nicht mit eisernem Griff gehalten worden wäre, hätte man denken können, dass Emil völlig entspannt wäre. »Worum ich mich kümmere«, sagte er, »ist Neel. Und seine Mutter. Und seine Schwester. Also ich mag ja nur ein ungehobelter Zigeuner sein« - er lächelte dabei, sodass seine Zähne wie eine Messerklinge in seinem schwarzen Bart aufblitzten -, »doch ich glaube, du hast Neel dazu eingeladen, mit deinem Gift zu spielen. Du ziehst ihn in irgendetwas mit hinein. Ich weiß nicht, was es ist, aber es gefällt mir nicht.«
Sie zappelte in seinem Griff und ihr Handgelenk brannte. »Neel kann selbst über sich bestimmen.«
»Neel ist ein Kind! Und du bist ein Kind!« Er schüttelte sie. »Das Lustige daran ist nur, dass auch Kinder Leute verletzen können.«
»Ich verletze niemanden.«
Doch ihre nächste Aktion führte wahrscheinlich dazu, dass Emil das, was sie gerade gesagt hatte, nicht so ganz glaubte. Sie trat ihm heftig gegen das Schienbein. Er stöhnte vor Schmerz und lockerte seinen Griff, sodass sie den Arm losreißen konnte. Er taumelte auf sie zu, aber Petra hob schnell
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