Das Kabinett der Wunder
mit Salz vermischt, die beste Tinte verschwinden lässt. Um den richtigen Pass herzustellen, musste Petra lediglich den Sauerampferessig auf das Wort »zweiten« geben und stattdessen das Wort »dritten« hinzuschreiben.
Das einzige Problem bestand darin, dass der Sauerampferessig nicht nur die Tinte verschwinden ließ, sondern auch das Papier aufhellte, sodass ein genauerer Blick sehr schnell offenbaren konnte, dass ein Brief damit gefälscht worden war. Doch sie erinnerte sich an Meister Humfrey Viteks Abscheu, ein Papier zu berühren, das von Iris kam. Und so heckte sie einen Plan aus, wie sie an den Wachen des dritten Stocks vorbeikommen und auch noch für genügend
Ablenkung sorgen konnte, damit Neel unbemerkt vorbeischlüpfen konnte.
Petra ging den Flur entlang, der nach Norden führte. Ihre Schritte hallten auf dem grau geäderten Marmorboden. Sie versuchte, konzentriert zu bleiben, obwohl der Prunk um sie herum - alte Rüstungen und rundbäuchige chinesische Vasen, die auf hübschen Tischen ihr Gleichgewicht behielten - nach ihrer Aufmerksamkeit schrie. Es war auch schwer, nicht auf Neel zu achten, der ihr den Gang entlangfolgte, indem er von einem Fenstervorhang zum nächsten flitzte. Die beiden hatten beschlossen, während der Abendessenszeit in das Zimmer des Hauptmanns einzudringen, wenn er mit ziemlicher Sicherheit nicht da war und sich nur wenige Leute auf den Fluren befinden würden.
»Was ist mit deiner Arbeit?«, hatte Petra Neel gefragt.
»Pffft«, kam Neels verächtliche Reaktion. »Ich verdufte da immer wieder. Das geht leicht wie nichts.«
Ein Kammerdiener kam ihr auf dem Flur entgegen und betrachtete sie argwöhnisch. Neel stand hinter einem Vorhang. Der Kammerdiener zuckte mit den Schultern und ging weiter. Ansonsten erstreckten sich die Flure menschenleer vor ihnen, während sie sich nun nach Westen wandten.
Als sie endlich zu den Zimmern in der Nordwestecke kamen, entdeckten sie die Tür, deren Griff aus einem eisernen, die Zähne fletschenden Eberkopf bestand. Neel hielt ein Auge an das Schlüsselloch und kniff das andere zu. Dann holte er ein kleines Glas aus der Tasche, drückte
das eine Ende an die Tür und hielt sein Ohr an das andere. Er nickte kurz, bewegte die Finger über die Tür und sie hörten ein Klicken.
Petra blickte den Flur entlang, um sicher zu sein, dass niemand zu sehen war, und schlüpfte hinter Neel in den Raum hinein. Mit angehaltenem Atem hoffte sie dabei, dass der Hauptmann der Wache sich irgendwo, weit von hier entfernt, glücklich den Wanst vollschlug.
Leise schlossen sie die Tür. Das Zimmer des Hauptmanns war eigentlich eine Zimmerflucht. Sie standen in einem leeren Salon, in dessen entgegengesetzter Wand sich die Tür zum Schlafzimmer befand.
»Hat Sadi gesagt, wo er es aufhebt?«, flüsterte Neel.
»Es muss gleich neben seinem Bett sein.«
»Das ist aber keine besonders sichere Stelle, um all seine Geheimnisse aufzubewahren.«
»Niemand weiß, dass man die Geheimnisse aus Sorgenfläschchen saugen kann. Alle denken, sie wären sicher. Und du erzählst auch besser niemandem davon.«
Neel schloss die Schlafzimmertür auf. »Denk doch mal an die vielen Kronen, die man mit Erpressung verdienen könnte...« Seine Augen glänzten.
»Nicht jetzt!« Sie stieß die Tür auf. Und da, gleich auf dem Nachttisch, stand ein bauchiges schwarzes Fläschchen. Petra griff in die Tasche, um ihre Flasche mit Wasser hervorzuholen. Dann entkorkte sie das Sorgenfläschchen und goss das Wasser hinein.
»Wie lange müssen wir warten?« Neel schaufelte sich ein Häufchen Münzen vom Frisiertisch in die Hand.
»Neel!«, zischte sie. »Leg das zurück!«
»Warum? Ich möchte auch was davon haben.«
»Aber der Hauptmann wird merken, dass Geld fehlt.«
»So? Dann denkt er eben, eine von den Dienerinnen hat es genommen.«
»Genau. Eine von den Dienerinnen. Macht es dir nichts aus, wenn eine von den Dienerinnen in Schwierigkeiten kommt?«
»Nö. Nicht wirklich.«
»Auch dann nicht, wenn die Dienerin deine Schwester ist, die das Zimmer hier sauber macht?«
»Oh. Ja-a. Richtig.« Er seufzte und legte das Geld zurück auf den Frisiertisch. »Kann mir nicht denken, warum sie es nicht selbst genommen hat.«
»Dann nimm was mit, bei dem der Hauptmann erst mal nicht merkt, dass es fehlt.«
Neel fing an, das Zimmer zu durchsuchen, zog Schubladen auf und spähte in Truhen. »Ich wiederhole mich nicht gern, aber wie lange wird das noch dauern?«
»Ich weiß nicht.« Sie legte
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