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Das Kabinett der Wunder

Titel: Das Kabinett der Wunder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Rutkoski
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werde ich sie dir zukommen lassen. Und wenn du dann meine Botschaft erhältst, machst du genau das, was ich sage. Also, wie klingt das?«
    Sie musste sich sehr zurückhalten, um nicht zu schreien, doch was sie dann sagte, klang wie ein Knurren. »Der Tag, an dem ich meine Kräfte entfalte, ist der Tag, an dem Ihr Euch besser Sorgen machen solltet, Dee.«
    »Aber wer weiß schon, ob du sie jemals entfaltest«, erwiderte er leichthin. »Vielleicht bist du so talentiert wie ein Holzklotz.Vielleicht hat - oder hatte - dein Vater Fähigkeiten, vor denen man auf der Hut sein musste. Aber deine Mutter? Sie war überhaupt nichts Besonderes.«
    Fast hätte Petra ihm erzählt, was für eine besondere Frau sie gewesen war, aber sie konnte die Worte gerade noch unterdrücken, bevor sie ihr über die Lippen kamen. Er hatte auf unbekannten Wegen schon zu viele Informationen über sie zusammengetragen. Sie wollte ihm nicht weitere Einzelheiten aus ihrem Leben anbieten, als wären sie kleine Kuchen auf einem Servierteller. Auf keinen Fall wollte sie ihre gerade erst gewonnene Fähigkeit erwähnen, insgeheim mit der Zinnspinne zu kommunizieren, die sich
in ihrem Haar versteckte, oder ihre Treffsicherheit beim Messerwerfen. »Sind wir fertig? Ich möchte gehen.«
    »Erlaube mir, dich zur Tür zu geleiten.« Mit einer geschmeidigen, samtumwallten Bewegung erhob er sich und begleitete sie. »Petra«, sagte er, als sie in den Flur hinaustrat, »lass mich dir noch einen Rat geben. Es ist nicht klug, Drohungen auszustoßen.« Er lächelte. »Irgendjemand nimmt sie vielleicht ernst.«
    Und damit schloss er die Tür.

Neel redet ernsthaft
    NEEL TOBTE. »Wo bist du gewesen? Ich hab bis zum Abend gewartet!« Er war plötzlich aus dem dunklen Keller hervorgesprungen, während die Dienerschaft in den Speisesaal strömte, immer noch rot äugig vom vielen Trinken und von zu wenig Schlaf. Petra hatte gar nicht die Möglichkeit, ihn zu fragen, wie er in die Burg gekommen war. Er riss eine Tür auf, die sie noch nie zuvor bemerkt hatte, und zog sie nach draußen ins Freie und hinter einen gewaltigen Holzstoß.
    »Als ich...«, versuchte sie zu sagen.
    »Ich hab gedacht, es wär dir vielleicht was passiert! Oder hast du Angst bekommen? Hast du, stimmt’s? Das war einfach dumm, Pet. Wir hätten letzte Nacht eine erstklassige Gelegenheit gehabt.«
    »Ich hatte keine Angst. Ich...«
    Neels Augen brannten wie gelbgrünes Feuer. »Sag mir bloß nicht«, sagte er gedehnt, »dass du alleine losgezogen bist.«
    »Das nicht gerade.«
    »Also doch. Du hast es getan. Ich verstehe. Genau wie
eine Katze, die die Maus in ihr Geheimversteck bringt, oder? Meinst du nicht, mir steht auch etwas zu, oder wie?«
    »So ist es doch nicht. So ist es überhaupt nicht. Ich hab versucht... Neel, das ist zu gefährlich für dich.«
    Plötzlich verstand Neel und sein Gesicht verwandelte sich in eine hölzerne Maske. Schnell erklärte Petra, was im Wald geschehen war, nachdem er zum Lager der Lowari vorausgegangen war. Sie erzählte ihm von Emil und seinem heftigen Bedürfnis, Neel zu beschützen.
    »Und du hast auf ihn gehört?«, explodierte Neel. »Emil ist der letzte Mensch, dem es zusteht, auch nur irgendetwas darüber zu sagen, was ich mache! Er ist nicht mein Bruder und auch nicht mein Vater!«
    »Aber Emil hat recht, Neel. Du hast gehört, was der Hauptmann der Wache gesagt hat. Du hast von diesen Menschen gehört. Ich hätte dich nicht mit reinziehen dürfen.«
    Er war zu wütend, um darauf zu antworten.
    Dann trudelte eine Schneeflocke an seinem Gesicht vorbei. Eine weitere erschien aus dem grauen Himmel, landete auf Neels Nase und verschwand.
    »Petra.« Neels Stimme klang nun nicht mehr böse, sondern einfach nur müde. »Du musst etwas für mich tun.«
    »Was?«
    »Du musst dir eine Minute nehmen - eine Minute Zeit -, in der du aufhörst, so...« Er wurde immer mutloser. »So sunora zu sein.«
    Sie war es nicht gewöhnt, mit Begriffen bezeichnet zu
werden, die sie nicht verstand. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und runzelte die Stirn. »Was meinst du damit?«
    »Du bist so grün hinter den Ohren. Ich weiß, du kennst die Art zu leben hier noch nicht so, aber du musst mal nachdenken. Wenn ich bloß den Geldbeutel von irgendeinem hergelaufenen Landei klaue, werde ich auf die Galeeren geschickt.Aber was glaubst du, was passiert, wenn der Prinz dahinterkommt, dass ein Haufen Zigeuner seine Rehe und Kaninchen verspeist und in seinem eigenen Jagdrevier kampiert?

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