Das Kabinett der Wunder
dass die Uhr so funktioniert, wie er es will.Vater meinte, sie würde immer nur ein schönes Gerät bleiben, das die Zeit angibt, und sonst nichts. Doch wenn man Dee zuhört, könnte man meinen, dass der Prinz ganz dicht davor ist, das Geheimnis meines Vaters zu entdecken.«
»Vielleicht glaubst du besser deinem Vater.«
»Ich glaube ihm ja«, zischte sie. »Meinst du, ich wollte Dees Befehlen gehorchen? Ich höre lieber auf meinen Vater. Der hat mir gesagt, dass die Uhr nicht meine Angelegenheit ist. Und das ist sie auch nicht. Sollte sie nicht sein. Es ist mir doch egal, was mit ihr passiert.« Aber ihre
letzten Worte klangen wie eine Lüge, an die Petra verzweifelt zu glauben versuchte.
Neel legte den Kopf ein bisschen schräg und lächelte sie an.
»Gut«, gab sie zu. »Vielleicht ist sie mir doch nicht so egal.«
»Ich wette, der Prinz kriegt die Uhr nicht auf die Art zum Laufen, wie er sich das wünscht. Da gibt es eine alte Lowarigeschichte …«
»Neel, glaubst du nicht, es ist ein bisschen zu kalt zum Märchenerzählen?« Inzwischen war es dunkel geworden. Petra klapperte mit den Zähnen, ihr Magen knurrte nach einem Abendessen und der Schnee bedeckte ihre Füße.
»Oh, ich weiß nicht«, schaltete sich Astrophil ein. »Mir ist nicht so kalt.«
»Natürlich nicht, du bist ja auch aus Metall!«
»Das ist schnell erzählt«, versprach Neel. »Da gab es einmal einen Lowari mit dem Namen Camlo und er war ein Fiedler wie kein Zweiter. Er schnitzte sich selbst eine gute Fiedel. Sie war seidenglatt und geschwungen und mit schwirrenden Saiten bespannt. Sie machte eine wilde und freie Musik, und die Leute kamen von überall her, um zuzuhören. Also, eines Tages fiedelte er im Wald und der Teufel tauchte auf. Ihm gefiel die Musik richtig gut, und ihm kam der Gedanke, dass dann, wenn er Camlos Fiedel hätte, alle auf der Erde ihn spielen hören wollten. Und so sagte der Teufel: ›Gib mir die Fiedel da, Mann.‹ Und Camlo sagte kaltschnäuzig wie nichts: ›Ich habe nicht die Gewohnheit, meine besten Dinge wegzugeben.‹ Da sagte der Teufel: ›Ich
gebe dir eine Menge Gold.‹ ›Wie viel denn?‹, fragte Camlo. ›So viel, wie im ganzen Ganges ist‹, sagte der Teufel.«
»Im Ganges?«
»Das ist ein Fluss in Indien«, sagte Astrophil.
»Da hat ihm der Teufel den Ganges gezeigt und wie das Wasser vor Gold funkelte. Es schimmerte wie tausend kleine Sonnen. Und der Teufel hat das Gangesgold herausgezogen und Camlos Taschen damit vollgestopft. Er hat einen großen Schubkarren damit gefüllt. Camlo sagte: ›Herr Teufel, Ihr habt euch ins Geschäft gebracht.‹ Er übergab die Fiedel, obwohl er sie so liebte, und ging davon, um sich an seinem Reichtum zu erfreuen.
Der Teufel war begierig darauf, die Leute zu beeindrucken, und fing an zu spielen. Doch stellt euch seine Überraschung vor, als niemand ihm Beachtung schenkte. Er spielte und spielte, doch die Leute achteten gar nicht auf ihn. Er jagte hinter Camlo her. ›Deine verdammte Fiedel funktioniert nicht!‹, schrie der Teufel. ›Die funktioniert gut‹, sagte Camlo. ›Ich hab dir meine Fiedel verkauft, aber nicht auch meine Seele.‹«
Petra stand schweigend da. Die Schneeflocken wirbelten um sie herum. »Erzähl das mal John Dee«, sagte sie.
Der Löwe und der Salamander
UNMÖGLICH!«, fauchte Iris. Sie hielt das Papier dicht vor die Brille und dann wieder auf Armeslänge weg. »Lächerlich!« Das Papier fing in ihren Fingern an zu qualmen.
Ein Junge in einer rot-goldenen Pagenuniform scharrte nervös mit den Füßen. Er blickte zu Petra. Er blickte zur Tür. Er räusperte sich leicht.
»Du!« Iris warf ihm einen mürrischen Blick zu. »Was machst du denn immer noch hier? Verschwinde!«
Der Page sprang los und verschwand auf schnellstem Weg durch die Tür.
Der Brief in Iris’ Hand löste sich auf, doch Petra hatte gerade noch das Wachssiegel darauf erkennen können. Es war ein Wappen mit einem Salamander, einem wilden Löwen und einem Schwert. Petra konnte sich gut vorstellen, worum es in dem Brief ging.
»Und nun zu dir.« Iris drehte sich zu Petra. »Heißt du Viera?«
»Ja.«
»Also warum hast du das nicht schon früher gesagt? Und
sag mir nicht, weil du so schüchtern wärst. Ich würde dir doch nicht glauben. Also, warum?«
»Du hast mich nie gefragt.«
»Hpmpf.« Ihre Mundwinkel schienen sich heben zu wollen, doch Petra bezweifelte sofort wieder, was sie gesehen hatte, als Iris zu sprechen fortfuhr. »Es ist verdächtig, wenn eine
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