Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
Osama fiel sofort die Pistole neben dem Rechner auf, der mit einem Wifi-Router verbunden war. Das Geld der Schutztruppe gelangte also nicht nur nach Kabul. Officer Kukur trug einen schlichten
Hijab
und ein weites Gewand, das ihre Formen verhüllte. Ihre Hände waren mit zahlreichen Ringen bestückt, einer davon war mit Henna tätowiert. Sie wirkte sehr dynamisch, mutig und intelligent, aber wie konnte es auch anders sein bei einer Frau, die es wagte, den Taliban mitten auf ihrem Gebiet die Stirn zu bieten?
»Können wir offen sprechen?«, fragte Osama leise. »Es ist sehr wichtig.«
Sie musterte ihn überrascht.
»Ja. Meine Gegner sind zahlreich, aber sie sind technisch nicht gut genug ausgestattet, um Mikrofone einzusetzen. Übrigens ist ihnen egal, was ich sage oder tue, denn ich bin ja nur eine Frau, ein minderwertiges Wesen. Was zählt, ist lediglich meine Existenz, weshalb sie mich früher oder später auch umbringen werden.«
Osama musste schlucken. Er lehnte die Tür an, weil er nicht wollte, dass man ihr Gespräch mithörte, doch sie zu schließen war unmöglich, denn eine Frau und ein Mann, die nicht verheiratet waren, hatten nicht das Recht, sich in ein und demselben Raum einzuschließen. Er setzte sich auf einen wackeligen Stuhl.
»Sind Sie Malalais Ehemann?«, murmelte sie.
»Ja, der bin ich. Osama Kandar,
Qoumaandaan
des Hauptkommissariats von Kabul«, antwortete er so leise, dass sie sich vorbeugen musste, um ihn zu verstehen.
»Malalai hat mir erzählt, Sie seien der schönste Mann Afghanistans. Ich muss sagen, das stimmt!«
Osama spürte, wie er errötete. Officer Kukur brach in Lachen aus.
»Was wollen Sie? Und weshalb so geheimnisvoll?«
Vorsichtig schilderte Osama ihr seine Situation, ohne zu erwähnen,wohin er unterwegs war. Als er seinen Bericht beendet hatte, wusste er sofort, dass sie ihm helfen würde.
»Sie lieben die Gefahr,
Qoumaandaan
!«
»Mir bleibt keine andere Wahl.«
»Verstehe.« Sie breitete die Arme aus und deutete auf das nackte Büro, in dem sie arbeitete. »Vielleicht entsteht im Zuge unserer Aktion ein neues Afghanistan. Ein freies, der Moderne zugewandtes Land, ohne Fundamentalisten, ohne Korruption.«
»Jetzt spielen Sie aber mit dem Feuer!«
Sie mussten beide lachen. Doch dann wurde Kukur wieder ernst.
»Ich nehme an, Sie brauchen einen Geländewagen, einen Fahrer, ein oder zwei Bodyguards?«
»Genau so ist es.«
»Der Wagen, das ist kein Problem, da nehmen Sie einfach meinen. Was den Fahrer und die Bodyguards angeht, so ist das schon schwieriger. Niemand ist hier wirklich sicher. Aber ich kenne einen jungen Mann, der ihnen helfen könnte. Auf den kann man sich verlassen, er ist Paschtune.«
»Wer ist es?«
»Mein Sohn.«
Osama zuckte zusammen.
»Was ich vorhabe, ist sehr gefährlich, ich wurde ohne Vorwarnung angegriffen. Ihr Sohn riskiert sein Leben. Ich halte das nicht für eine sehr gute Idee.«
»Mein Sohn ist permanent in Gefahr, schon deshalb, weil er mein Sohn ist. Mehrere Talibangruppen würden ihn zu gern umbringen, nur um damit mir zu schaden. Ihnen zu helfen ist nicht gefährlicher, als Tag für Tag in dieser Stadt zu leben.«
»Was ist er von Beruf?«
»Bäcker.« Kukur lächelte. »Er macht die besten Fladen von Kandahar, wahrscheinlich sogar im ganzen Umkreis. Vor seinem Geschäft stehen die Leute fast immer Schlange. Er ist ein braver Junge, der noch nie in seinem Leben ein Gewehrangefasst hat. Er hat nur eine einzige Frau, die ist Grundschullehrerin, und zwei wunderbare Kinder. Ich bin stolz auf ihn!«
»Gut, ich nehme Ihre Hilfe an. Ich werde Ihnen sagen, wohin ich fahre.«
Sie griff nach einer Generalstabskarte der Region, die beinahe so detailliert war wie diejenige, die Osama in Kabul benutzt hatte. Er bemerkte, dass sie in kyrillischer Schrift verfasst war.
»Die Karte diente den russischen Spezialeinheiten«, erklärte Kukur. »Sie stammt aus der Zeit kurz vor ihrem Abzug, vielleicht von 1987 oder 1988. Seitdem hat sich kaum etwas verändert, es wurde keine Straße gebaut, die Dörfer sind dieselben. Das allein reicht schon zur Beschreibung der Zustände in diesem Land seit zwanzig Jahren: Es gibt nichts, was so bedeutsam ist, dass man es in eine Karte eintragen müsste …«
»Dieses Dorf da«, sagte Osama. »Pamni Lilu. Kennen Sie es?«
»Nein. Es scheint winzig zu sein. Es liegt mitten in der Stammeszone.«
»Kontrolliert die Armee dieses Gebiet?«
»Die Armee kontrolliert nichts außer dem Parkplatz dieser Kaserne
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