Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
achtzehn Uhr fragte der Sohn, ob sie in Qalat übernachten wollten. Osama hatte kein großes Bedürfnis, in diese Stadt zu fahren, die nicht sehr weit vom Ort des Überfalls lag. Möglicherweise wartete man dort auf sie. Er bat darum, ein verlassenes Dorf zu suchen. Sie befanden sich in einer Gegend, die nur von Paschtunen bewohnt war, und die galten unbestritten als das gastfreundlichste Volk der Afghanen. Doch es tat sich kein Dorf in der Nähe der Straße auf, und so entschied Osama, dass sie alle im Auto übernachteten. Er schlief schlecht. Er hoffte, dass die Nachricht von seinem Tod nicht zu Malalai gedrungen war. Vor seiner Abreise hatte er sowohl seiner Frau als auch Reza mitgeteilt, dass er vieroder fünf Tage nicht anrufen werde, damit seine Feinde ihm nicht auf die Spur kamen.
Am nächsten Morgen, sobald es hell wurde, setzten sie die Fahrt fort.
Sie ließen zunächst Qalat hinter sich, eine bedeutende Stadt, verfügte die Armee doch dort über eine große Garnison. Dann Jaldak, das nur ein verschlafener Marktflecken war, auch wenn die Taliban vor 2001 dort eines ihrer Hauptquartiere hatten. Die Straße war noch von den wilden Kämpfen gezeichnet, die einst stattgefunden hatten. Schließlich, kurz nach vierzehn Uhr, passierten sie die Stadtgrenze von Kandahar, der alten Hauptstadt der Taliban. Seit jeher war die Stadt ein Schlupfwinkel islamistischer Milizionäre, daran hatten auch die vielen Millionen nichts geändert, die in den Wiederaufbau gepumpt worden waren. Osama fragte sich, wie viel davon wohl in die Taschen des Innenministers und anderer korrupter Politiker gewandert war, die das Land schamlos plünderten. Die Spannung war mit den Händen greifbar. Überall sah man Soldaten, hingegen kaum eine Frau, die wenigen, die sich auf die Straße trauten, hasteten stets paarweise vorüber, den Kopf unter ihrer Burka gesenkt. Die Zivilisten wirkten feindselig oder eilten mit angsterfülltem Gesichtsausdruck vorbei. In Kandahar hatten die Taliban bereits gewonnen: Die Stadt gehörte ihnen, den offiziellen Fahnen, die überall wehten, zum Trotz.
»Wohin wollen Sie?«, fragte der Fahrer.
Osama wusste es selbst nicht genau. Er hatte noch nie so viele buschige Bärte gesehen, seine Feinde waren überall. Sehr rasch stellte er fest, dass hier keine einzige Frau Auto fuhr. Kandahar war die strengste Stadt Afghanistans, eine Hochburg des konservativsten Islamismus. Niemals würde er unauffällig einen Wagen mieten können. Als er an ein Gespräch dachte, das er kürzlich mit Malalai geführt hatte, kam ihm plötzlich ein Gedanke.
»Fahren Sie zum Kommissariat«, befahl er.
»Aber Sie sagten doch, wir sollten es meiden«, wandte Rangin ein.
»Ich habe es mir anders überlegt. Vertrau mir.«
Der junge Polizist machte ein mürrisches Gesicht. Inmitten dieser Volksmenge, der jede Art von Modernisierung ein Dorn im Auge war, fühlte er sich mit seinem westlichen Haarschnitt, seinem glattrasierten Gesicht und dem in die Hose gestopften Hemd sehr fremd.
»Zieh deine Kurta heraus«, sagte Osama zu ihm. »Ich werde uns einen Turban besorgen.«
Er kaufte zwei Umhänge, zwei Gebetsketten und zwei Turbane in einem kleinen Lädchen an der Herat Sarak, der großen Arterie, welche die Stadt zweiteilte. Wenig später hielt ihr Fahrer vor dem Kommissariat. Eine nagelneue Inschrift auf dem Giebel verkündete auf Englisch »ANP,
Afghan National Police
«. Osama bemerkte, dass das Schild von Kugeln durchsiebt war. Eine nette Nachbarschaft … Er betrat das Gelände.
»Ich möchte mit Frau Hauptmann Kukur sprechen.«
»Wer will sie sprechen?«
»Der Ehemann von Malalai, ihrer Freundin aus Kabul.«
Kukur war die einzige Frau bei der Polizei in Kandahar. Mehrmals war sie den Taliban entkommen, die versuchten, sie zu töten, um ein Exempel zu statuieren. Nach dem Sturz des Regimes war es ihr gelungen, ihren Job wieder anzutreten, und sie war sogar befördert worden, weshalb sie nun den Rang eines Offiziers innehatte. Sie trug stets einen Schlagstock und einen Revolver bei sich, sah sich aber, wie alle Frauen in Kandahar, zum Anlegen einer Burka verpflichtet, sobald sie das Hauptquartier der Polizei verließ. Ihr Kampf für die Frauenrechte war im ganzen Land bekannt. Malalai hatte ihr erzählt, dass sie Mitglied der RAWA geworden war, die beiden hegten großen gegenseitigen Respekt und bewunderten einander für ihr Engagement.
Osama wurde in einen winzigen Raum geführt. Officer Kukursaß hinter einem Holzschreibtisch.
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