Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott
töten. Mögen Sie noch mächtiger von Ihrer Reise zurückkehren. Ich werde zu Allah für Sie beten.«
Als er zur Moschee zurückkehrte, waren Nick und Mullah Bakir bereits reisefertig. Sie hatten beide braune Wollmäntel an,und zu ihren Füßen standen Plastiktüten mit Wasserflaschen und Konservendosen. Mullah Bakir stieg vorne ein, Nick nahm auf der Rückbank Platz. Niemand sagte etwas zu den Waffen im Kofferraum. Als sie Kabul verließen, verschwand die Sonne hinter den Bergen und tauchte ihre scharfen Konturen in Purpur. Osama schaltete die Scheinwerfer ein und schlug den Weg nach Kunduz ein.
Erst im letzten Augenblick bemerkte Osama die Ziege, die inmitten der vereisten Straße Rast machte. Er bremste scharf und geriet ins Schleudern, doch schließlich kam der Geländewagen zum Stehen, ohne das Tier berührt zu haben. Seit fünf Tagen waren sie nun unterwegs, hatten ihre Wasservorräte und die Lebensmittel längst aufgebraucht, und allmählich ließ die Konzentration beim Fahren nach. Zunächst waren sie auf der großen Landstraße in Richtung Kunduz gefahren, hatten das Panschirtal durchquert, das weder die Russen noch die Taliban dem Kommandanten Massud je hatten entreißen können, waren dann hinüber zum Khawakpass auf fast viertausend Höhenmetern gefahren. Anschließend waren sie einer holprigen Schotterstraße an der Bergflanke gefolgt und nach Atiti gelangt, einem kleinen Marktflecken, schließlich in die Stadt Nuristan selbst, die der ganzen Region den Namen gegeben hatte. Zweimal hatten die Landbewohner bestätigt, einen großen Geländewagen mit Kabuler Kennzeichen gesehen zu haben, in dem ein Fremder und eine Frau saßen.
Die Straße, der sie nun folgten, war besonders gefährlich: ein schmales gefrorenes Asphaltband in erbärmlichem Zustand mit Schneeverwehungen und Glatteis, das sie immer wieder mit dem Pickel weghacken mussten. Wenn ihnen ein Lastwagen entgegenkam, mussten sie die Geschwindigkeit auf Schritttempo drosseln und im Millimeterabstand daran vorbeifahren, damit sie nicht in die Schluchten stürzten, die den Straßenrand säumten, manchmal Hunderte von Metern tief.
Obwohl er an ein hartes Leben gewöhnt war, überraschte Osama das Elend der Bewohner Nuristans, der Ärmsten ganz Afghanistans. Nur wenige Fahrzeuge begegneten ihnen, klapprige Wagen, von denen man fürchten musste, dass sie es nicht mehr hinter die nächste Kurve schafften – niemals aber ein moderner Geländewagen. Alles war schneebedeckt, es war, wie üblich für Ende März, noch sehr kalt, bis zu minus 25 Grad. Die Dorfbewohner, die ihren Weg kreuzten, waren in mehrere Schichten Kleidung und Decken gehüllt. Dennoch sprach aus ihrer Haltung Stolz und Würde. Die Nuristani, die aufgrund ihrer Abgeschiedenheit und ihrer heidnischen Kultur sehr für sich lebten, hatten sich mit dem Rest Afghanistans kaum vermischt. Mullah Bakir erzählte ihnen, der Legende nach seien sie direkte Abkömmlinge der Krieger von Alexander dem Großen, die sich nach der Auflösung seines Reiches in den Norden des Landes geflüchtet hatten. Dennoch konnte man sich nur schwer vorstellen, dass die Armee des größten Soldaten der Geschichte in diesen ärmlichen Tälern am Ende der Welt ihr Ende gefunden hatte.
Ein Stück vor Kamdesh machten sie in einem kleinen Dorf halt, an einer Abzweigung auf ihrer Route. Osama ging auf einen Bewohner zu und sprach ihn an.
»Möge Allah mit dir sein und dein Körper kräftig bleiben«, begann er. »Wie ist die Straße hier?«
»Man kann sie befahren«, erklärte der Dorfbewohner.
»Weißt du es genau?«
»Ein Lastwagen fuhr vergangene Woche in diese Richtung. Er stürzte in eine Schlucht, und alle Insassen kamen ums Leben, aber die Straße, die ist in gutem Zustand, die können Sie befahren.
Inshallah
.«
»Wie sicher ist die Route?«
»Es gibt dort viele bewaffnete Gruppen.«
»Taliban?«
»Banden, die aus Pakistan und der Gegend um Kabul stammen.Sie wurden von der Armee verjagt und sind hierher geflüchtet.«
»Also sind es Taliban?«
»Ja, Taliban. Sehr bösartig«, bestätigte der Dorfbewohner.
Osama fragte sich, ob er nur begriffsstutzig war oder ob es hier Sitte war, niemals direkt auf eine Frage zu antworten. Als ein anderer Dorfbewohner näher kam, fragte Osama, wo er etwas zu essen kaufen könne.
»Wir haben nichts. Es gibt hier nichts.«
»Auch keine Eier?«
»Nichts. Keine Eier, kein Fleisch, keinen Käse. Nichts.«
Osama zückte zwei Geldscheine.
»Wir haben Eier, Käse,
Weitere Kostenlose Bücher