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Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott

Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott

Titel: Das Kabul-Komplott - Bannel, C: Kabul-Komplott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cédric Bannel
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Fleisch«, verkündete derselbe Dorfbewohner. »Kommen Sie mit.«
    Osama kehrte zu seinen Freunden zurück und berichtete, dass sie im Dorf übernachten könnten. Seine beiden Gefährten waren ziemlich angeschlagen. Der Mullah hatte die Höhenkrankheit und Gliederschmerzen wegen der dünnen Luft. Mühsam stieg er aus dem Wagen und bewegte sich nur mit kleinen Schritten vorwärts, wie ein alter Mann. Nick dagegen hatte Durchfall, den auch Medikamente nicht stoppen konnten. In kurzen Abständen mussten sie anhalten, damit er sich am Straßenrand erleichtern konnte. Angesichts der schäbigen Häuser verzog Nick das Gesicht, doch er sagte nichts. Die beiden vorhergehenden Nächte hatten sie mit bis zu zehn Einheimischen in winzigen, schlecht beheizten Räumen geschlafen, in denen die Luft zum Schneiden war. Da sich ihre Zimmergenossen vermutlich seit dem Ende des vorigen Sommers nicht mehr gewaschen hatten, war Nicks Geruchssinn auf eine empfindliche Probe gestellt worden. Doch er ertrug diese Zumutungen, ohne zu murren. Osama war beeindruckt, wie sehr der Junge sich in den letzten Tagen verändert hatte, er zeigte eine Zähigkeit, die er bei einem Westler seiner Generation nicht für möglich gehalten hätte. Paradoxerweise fiel es Mullah Bakir viel schwerer,die Bedingungen dieses spartanischen Lebens zu ertragen, die verdorbene Nahrung, die strengen Gerüche. Über seinem Studium in Cambridge und den glorreichen Zeiten in der Talibanregierung hatte der feinsinnige Imam vergessen, was es bedeutete, ein entbehrungsreiches Leben zu führen. Jedenfalls versuchte er, sich wacker zu schlagen, und bewahrte in jeder Situation seinen Humor, welcher durch sein blumiges Vokabular und den unnachahmlichen Oxford-Akzent seiner Äußerungen noch pointierter erschien.
    »Ah, wunderbar!«, rief er, als er die mit schmutzigem Schnee bedeckten Lehmhäuser sah. »Dieser Luftkurort übertrifft sicherlich alle bisherigen!«
    Ihr Gastgeber führte sie in sein Haus. Mehrere Nachbarn waren dort versammelt. Ein Mann stellte das Essen auf den Boden, einzelne Teller gab es ebenso wenig wie Messer und Gabeln. Man aß mit einem schlichten Holzlöffel oder gleich mit den Fingern. Sie fingen mit den üblichen weichen Eiern an, ein Muss in jedem afghanischen Dorf.
    »Ich glaube, ich werde nie mehr weichgekochte Eier essen können«, seufzte Nick.
    Mullah Bakir kniete ungelenk auf einem abgewetzten Teppich nieder, ein beeindruckter Dorfbewohner, den Osama über die Identität ihres Gastes aufgeklärt hatte, half ihm dabei. Kurz darauf wurden Fladen und Joghurt serviert. Der Joghurt war trotz der Kälte schon sauer geworden. In Wahrheit war er ungenießbar, doch Osama schluckte ihn tapfer hinunter. Nick stürzte gleich nach dem ersten Löffel ins Freie, die Hände auf den Bauch gepresst. Einer der Männer begann zu lachen und entblößte dabei einen fast zahnlosen Mund, sein Nachbar stimmte in das Gelächter ein, schließlich lachte die ganze Versammlung. Auch Mullah Bakir lachte herzlich.
    »Dieses Essen ist abscheulich, der Ort ist widerlich, und diese Leute, das sind Wilde. Wir sind hier wirklich am Ende der Welt. Wussten Sie, dass es noch Nuristani gibt, die heimlichGötzen anbeten? Das ist umso erstaunlicher, als ihre Brüder oft die verbohrtesten Gläubigen sind, die man sich vorstellen kann.«
    »Ich wusste nicht, dass ein Mullah Gläubige als ›verbohrt‹ bezeichnen darf«, bemerkte Osama, während er seinen Joghurt auslöffelte.
    »Der Glaube darf nichts Starres sein. Er muss sich eine Form des existentiellen Zweifels an den veralteten und oft unverständlichen Vorschriften des Koran vorbehalten. Ich betrachte alles im Koran als interpretierbar, mit Ausnahme der Existenz Gottes und des Propheten natürlich. Meine Brüder, die Imame der Universität Kairo haben meine Theorie unter der Bezeichnung ›Rechtmäßiger Zweifel des aufgeklärten Gläubigen‹ populär gemacht, aber ich fürchte, dass diese komplizierten Konzepte einen
Gourbi
wie diesen hier überfordern.«
    Er schluckte einen Löffel Joghurt hinunter und schnitt eine Grimasse.
    »Die Bevölkerung in dieser abgelegenen Gegend zum Beispiel hat nie das neue Ehegesetz akzeptiert, das ich durchgesetzt habe, als Mullah Omar noch auf mich hörte. Diese Leute hier sind schlimmer als die schlimmsten Paschtunen!«
    Osama entdeckte auf dieser Reise nach und nach, wie groß der Einfluss Mullah Bakirs zu Beginn der Talibanrevolution gewesen war. Die Episode, auf die er anspielte, war eine der

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